"Cabaret" an der Staatsoperette: Willkommen, Bienvenue, Welcome!

Dresden - Das Musical "Cabaret" erzählt zwei individuelle Liebesgeschichten im Berlin der Jahreswende 1929/30, die im gesellschaftspolitischen Klima des heraufziehenden Nationalsozialismus zum tragischen Scheitern verurteilt sind. Ein Stoff, der in unruhiger Gegenwart mehr als sonst von politischer Brisanz ist. In der Inszenierung von Matthias Reichwald ist das Stück neu auf dem Spielplan der Staatsoperette.

Aswintha Vermeulen als Sally Bowles in einer Ensemble-Szene.
Aswintha Vermeulen als Sally Bowles in einer Ensemble-Szene.  © Lutz Michen

Annähernd 60 Jahre liegt die New Yorker Uraufführung des Stücks von John Kander (Musik) und Joe Masteroff (Buch) nach literarischer Vorlage von Christopher Isherwood zurück, 53 Jahre der oscarprämierte Hollywood-Film von Bob Fosse. Die Staatsoperette nimmt das Stück zur Vorlage, üblicherweise ergänzt um Musiknummern, die für die Verfilmung entstanden.

Protagonisten sind der US-Schriftsteller Clifford Bradshaw, der sich im Berliner Nachtleben in die lebenslustige Nachtclubsängerin Sally Bowles verliebt, sowie die Zimmervermieterin Fräulein Schneider, die vorübergehend dem Werben des jüdischen Obsthändlers Isaak Schultz erliegt. Im Kit-Kat-Klub treffen sie aufeinander oder in der Pension von Fräulein Schneider. Clifford gerät in Bekanntschaft zu dem windigen Deutschnationalen Ernst Ludwig, der den Nazis anhängt. Überall in der Stadt macht sich deren neuer Geist breit.

Die Melange aus Geschichte und Musik ist von ungewöhnlicher Klasse. Songs wie das verführerische "Willkommen, Bienvenue, Welcome!" des Conférenciers, Sallys melancholisch-mitreißende Titelhymne "Cabaret" sowie Nummern wie das wehmütige "If You Could See Her", die deutschnationale Erweckungshymne "Tomorrow Belongs to Me" (Der morgige Tag ist mein) oder - aus dem Filmsoundtrack - das sehnsüchtige "Maybe This Time" und das kassenklingelnde "Money, Money" sind zu Klassikern avanciert, festen Bestandteilen des kulturellen Gedächtnisses.

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Regisseur Reichwald lässt den ersten Akt ein wenig zu harmlos dahinplätschern, bevor er im zweiten Akt die Daumenschrauben anzieht.

Premierenaufführung war musikalisch und schauspielerisch ein Genuss

Regisseur Matthias Reichwald (44) inszenierte das Stück. (Archivbild)
Regisseur Matthias Reichwald (44) inszenierte das Stück. (Archivbild)  © Norbert Neumann

Das Bedrohliche der wachsenden Gefahr aus nationaler Überhöhung, Judenfeindschaft, Ausgrenzung und mentaler Gleichschaltung wird dann beunruhigend greifbar. Dabei arbeitet Reichwald nicht mit den groben Mitteln didaktischer Überwältigung, sondern mit oft feiner Symbolik, wenn sich die dreieckige Drehbühne und der dreieckige Ausschnitt zur Hinterbühne, wo das Orchester agiert, als die zwei Elemente des Davidsterns identifizieren lassen, aus denen die Nazis später den "Judenstern" formen sollten, oder die drei "K" des Kit-Kat-Klubs auf den Ku-Klux-Klan hinweisen.

Zur Uniformierung der nationalen Erweckung dienen nicht die Braunhemden der Nazis, stattdessen neutrale, silber-glänzende Overalls samt blonder Perücken, die eine starke Bildwirkung entfalten. Als zu "Der morgige Tag ist mein" unversehens der Chor aus den Sitzreihen im Zuschauerraum aufscheint, geht es einem im Saal durch Mark und Bein.

Die Premierenaufführung am Freitag war musikalisch und schauspielerisch ein Genuss. Das Orchester unter Leitung von Peter Christian Feigel changiert meisterlich zwischen Unterhaltungskapelle und Jazzband.

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In den Hauptpartien überzeugen Marcus Günzel (Conférencier), Silke Richter (Fräulein Schneider), Bryan Rothfuss (Herr Schultz), Gero Bendorf (Ernst Ludwig), Kaya Löwe (Fräulein Kost), Adrian Djokić (Clifford) und - vorneweg - Aswintha Vermeulen als Sally mit hingebungsvoller, erdiger Nachtclub-Röhre. Bravo!

Titelfoto: Lutz Michen

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