Interview mit Dirigent Gaetano D'Espinosa: "Musik ist die Urphilosophie"
Dresden - Gaetano d'Espinosa (45) ist Sizilianer, geboren in Palermo. Er ist auch Dresdner, wohnhaft in der Neustadt. Die Verbindung von Heimat und Wahlheimat in seiner Person ist mehr als 20 Jahre alt. 2001 stieg er als Geiger bei der Staatskapelle ein und avancierte zum Konzertmeister, bevor er die Violine aufgab und eine Karriere als Dirigent begann. International in den bedeutendsten Häusern tätig, dirigiert er immer wieder auch in Dresden, an der Semperoper, aktuell mit einer Aufführungsstaffel von Donizettis "L'elisir d'amore/Der Liebestrank" (20., 23., 27.10.; 5., 7.11.). Nächstes Jahr, im Mai und Juni, folgt eine Staffel "Die Zauberflöte". Wir sprachen mit Gaetano d'Espinosa. Wo? In der Pastamanufaktur an der Dreikönigskirche bei Tagliatelle und Cappuccino.
TAG24: Herr d'Espinosa, Sie haben neben Musik auch Philosophie studiert. Was ist Musik aus Sicht eines Philosophen?
Gaetano d’Espinosa: Aus meiner Sicht ist Musik die Urphilosophie. Sie arbeitet mit Sinnen statt Begriffen. Die Sinne erzeugen Vorstellungen, die wiederum in Begriffen zusammengefasst werden.
War Musik immer Ihre erste Wahl?
Ja, immer. Neulich habe ich eine Zeichnung gefunden, die aus der Zeit stammt, als ich vier Jahre alt war, da ist ein Weihnachtsmann zu sehen, der mir ein tonnenschweres Geschenk bringt, wo ein Orchester drin ist. Mit fünf Jahren durfte ich Klavierunterricht und kurz darauf auch Geigenunterricht nehmen.
Sie waren Violinist und Konzertmeister der Staatskapelle. Wie war es, als Sie zum ersten Mal als Dirigent kamen? Mussten Sie bei den Ex-Kollegen Überzeugungsarbeit leisten?
Wie in jeder Lebenslage muss sich eine Beziehung auf natürliche Art entwickeln, so auch eine Zusammenarbeit. Insofern ging und geht es mir weniger um Überzeugungskraft als darum, mit Überzeugung gut zusammenzuarbeiten, das Potenzial auszuschöpfen und einen gemeinsamen, schönen Weg zu gehen. Der dauert schon ein paar Jahre an.
Fabio Luisi, ehemaliger Generalmusikdirektor der Semperoper und Chefdirigent der Staatskapelle, war Ihr Mentor. Inwiefern war er wichtig für Sie als Dirigent?
Ich war eine Zeit lang sein Assistent. Er hat mir den Weg gewiesen. Ich liebäugelte damit, die Violinistenlaufbahn zu beenden und Dirigent zu werden, hielt mich in meiner Selbsteinschätzung aber nicht für genügend. Luisi lobte mein Talent: "Du hast etwas zu sagen", meinte er, und riet mir, Dirigent zu werden, wenn ich denn bereit wäre, mein Leben zu ändern. Ein Dirigent reist viel, muss bereit sein, häufig umzuziehen, er trägt große Verantwortung für das Gelingen eines Konzerts oder einer Opernaufführung. Ich habe es gewagt und, wie ich glaube, gewonnen.
Gaetano D'Espinosa: "Dresden wurde zu meiner Wahlheimat"
Trotz des vielen Reisens ist Dresden nach wie vor Ihr Hauptwohnsitz, nicht wahr?
Ich lebe seit 2001 in Dresden und zahle hier auch meine Steuern. Ich lernte die Staatskapelle kennen, als sie im Jahr zuvor mit Giuseppe Sinopoli auf Sizilien gastierte, wo ich gerade Kammermusik spielte. Einige Musiker rieten mir zu einem Probespiel, worum ich mich bewarb und das ich schließlich auch gewann. So kam es zu der lustigen Begebenheit, dass viele Wochen später eine frühere Bewerbung von mir abgelehnt wurde, während ich im Orchester schon auf Posten war. So lernte ich die deutsche Bürokratie kennen (lacht). Im Ernst: Mit der Stelle im Orchester ging für mich ein Traum in Erfüllung. Dresden wurde zu meiner Wahlheimat und ist es geblieben. Eine wunderbare Stadt.
Sie dirigieren viel an der Semperoper, die Zählung kommt bisher auf mindestens sieben Werke. Würden Sie auch gern mal ein Symphoniekonzert leiten?
Ich würde mich geehrt fühlen!
Vermissen Sie Italien, wenn Sie in Dresden sind? Wenn ja, was ist es, das Ihnen fehlt?
Es ist mir im Winter manchmal zu grau und kalt. Die einzigartige salzige Meeresluft von Sizilien vermisse ich sehr. Aber wie schon Verdi mit Hinblick über das sonnige Wetter von Sant'Agata sagte: "Ein 'Tristan' kann einem unter diesem Himmel nicht einfallen."
Das denkt D'Espinosa über die politische Situation in Deutschland
Deutschland ist politisch aufgekratzt zurzeit. Wie erleben Sie die Stimmung im Lande?
Ich erlebe Angst und Sorge bei den Menschen und dass die erregte Rhetorik die Gemüter weiter aufheizt. Das ist in Italien nicht anders.
Was unterscheidet die Deutschen in solchen Krisen von den Italienern?
Sind wir Italiener krisenerprobter? Das könnte sein. Vielleicht nehmen wir auch viele Dinge nicht so schwer. Ich erlebe die Deutschen als Menschen, für die jede Art von Sicherheit sehr wichtig ist. Tiefe und Gefühlskontrolle des deutschen Gemüts hängen eng zusammen mit der Erwartung von Solidität. Wird dieses Empfinden gestört, entstehen Nervosität und Angst, manchmal vielleicht übertrieben.
Haben Sie Angst vor der AfD - ist die Partei eine Bedrohung für die deutsche Demokratie?
Ich glaube, da muss man keine Angst haben. Wir sollten akzeptieren, dass es diese Partei gibt, und ihren Provokationen mit Gelassenheit begegnen. Die deutsche Demokratie ist gefestigt, davon bin ich überzeugt.
Kunst kann in Menschen viel auslösen, meint Dirigent D'Espinosa
Kann Musik die Menschen besser machen?
Kunst generell kann in Menschen viel auslösen. Die Musik scheint mir den direktesten Zugang zur menschlichen Seele zu haben. Wenn ein Konzert, eine Oper oder auch ein Popsong tiefe Emotionen auslöst, dann berührt es den Menschen in seinem Innersten. Er kann beseelt aus einem Konzert gehen, nimmt das Gefühlte und Erlebte mit in seinen Alltag und im besten Falle trägt ihn die Musik durch gute und schwierige Zeiten. Ich bin überzeugt, dass die Musik viel bewirken kann und das Empfinden der Menschen sensibilisiert. Insofern kann die Musik auch Menschen verbinden, Gespräche fördern, einen sensiblen Austausch über Erlebtes ermöglichen und Menschen dadurch auch besser machen. Wir sollten dazu eine Umfrage machen (lacht).
Was sagt der Philosoph in Ihnen: Wie bleibt man seelisch gesund in Krisenzeiten?
Das halte ich für schwer beantwortbar. Jeder Mensch hat unterschiedliche Bedürfnisse in unterschiedlichen Zeiten. Sicher ist, dass Solidarität und soziale Bindungen uns in schwierigen Zeiten helfen können. Wir sind alle auf Gnade angewiesen.
Titelfoto: Holm Helis