Die Engel der Weihnacht: Jessi besucht hilfsbedürftige und einsame Rentner
Berggießhübel - Bevor man den Engel der Weihnacht sehen kann, kann man ihn hören. Wenn Technomusik wummert, ist Jessica Spindler (23) im Anmarsch. Die Pflegehelferin vom "Pflege- und Therapieverbund Schmiedel" im Kurort Berggießhübel (bei Pirna) besucht zu Heiligabend Rentner, die krank, hilfebedürftig und nicht selten einsam sind.
Für viele ist sie nicht nur Pflegekraft, sondern auch Kummerkasten, Trösterin oder einfach der Engel, den man sich zu Weihnachten wünscht.
Durchschnittlich 25 Hausbesuche stehen täglich auf Jessis Tourenplan. Zum Fest klingelt sie als Weihnachtsfrau an den Türen ihrer Klienten - mit Zipfelmützchen, Ohrringen in Christbaumform und Weihnachtsstiefeln mit einem Glöckchen dran.
Statt mit Rentieren geht sie über die Feiertage mit ihrem Mischling Emmi (2) auf Tour. Ihr Schlitten ist ein Suzuki Swift, in dem sie gern die Musik laut aufdreht.
Sie hilft beim Waschen, Duschen, überwacht die Tabletteneinnahme. Im Örtchen Krebs macht ihr Hannelore Binder (73) am Rollator die Tür auf. "Ich creme ihr die Beine ein, wechsle den Wundverband", sagt Jessi. Die Rentnerin muss das Weihnachtsfest erstmals ohne ihren Mann allein zu Hause verbringen.
"Er ist dement, aggressiv und derzeit in der Kurzzeitpflege", sagt sie. Wie es nach Weihnachten weitergeht - ungewiss. Jessi muss nicht nur cremen, sondern auch trösten. Ein kleines Geschenk zaubert der 73-Jährigen ein Lächeln ins Gesicht.
Jessica Spindler besucht Senioren zu Weihnachten
"Dieses Jahr gibt es von uns ein Paar warme Kuschelsocken und Creme", sagt Pflegedienstleiterin Lisa Götz (36). Auch Jessi wird beschenkt, bekommt von Hannelore Pralinen und ein Scheinchen Trinkgeld als Gabe. Weihnachten ist schließlich nur einmal im Jahr.
Zehn Kilometer weiter steht sie am Gartentor von Richard Richter (89) in Gersdorf. Auch für den ehemaligen Ingenieur ist es das erste Weihnachten ohne seine Frau. "Sie ist dieses Jahr im Altersheim verstorben und ohne sie fällt auch der Weihnachtsschmaus aus", sagt er. Doch da kennt er Jessi schlecht.
"Zu Heiligabend bringe ich Richard Bratkartoffeln mit - sein Lieblingsgericht." Man duzt sich. Dann bekommt Richard seine Diabetesspritze und muss seine Tabletten schlucken. Jessi versorgt auch die Vögel am Vogelhaus mit frischen Körnern. Denn Richard mag Tiere und darf auch Emmi streicheln wie einen Schlittenhund.
Nur der Schnee fehlt dieses Jahr. "Schneewehen oder Eisregen wie nach Weihnachten im vergangenen Jahr bringen mich manchmal in Terminnot", erzählt Jessi.
Jessis Weihnachten beginnt nach ihrer Tour
"Dann kommen wir zu manchen Klienten im Wald gar nicht mehr durch - und das trotz Winterreifen und Allradfahrzeug." So musste für eine Patientin der Notarzt damals sogar mit dem Rettungshubschrauber eingeflogen werden.
An manchem Tag, wenn Grippe für Personalnotstand sorgt und Jessi alle drei Schichten fahren muss, dreht sich ihr Tacho 200 Kilometer weiter. Dann betet sie, dass sie nicht auch noch ein Stau auf der Autobahn A 17 aufhält oder sie von einem Blitzer am Straßenrand erwischt wird.
Denn ihre Weihnachtsbotschaft lautet: viele Klienten möglichst pünktlich mit guten Gaben überraschen. Einfach da sein, wenn die Einsamkeit unterm Weihnachtsbaum unerträglich wird. Wenn Jessi alle ihre Klienten beschert hat, kann auch für sie endlich Weihnachten beginnen.
"Am ersten Feiertag steht der Festtagsbraten bei den Schwiegereltern auf dem Tisch und abends Schrottwichteln mit Freunden auf dem Programm." Dann kann sich auch die emsige Weihnachtsfrau von ihrem Weihnachtsmann beschenken lassen.
Titelfoto: Steffen Füssel