Juwelenraub im Grünen Gewölbe: Alle Hintergründe zum Prozess des Jahres
Dresden - Es dürfte der spektakulärste Prozess des Jahres 2022 in Dresden werden. Am Landgericht Dresden wird ab 28. Januar gegen Abdul Majed (22), Rabih (27), Bashir (25), Mohamed (22) Ahmed (23) und Wissam Remmo (24) verhandelt. Die sechs Mitglieder des Remmo-Clans sollen am 25. November 2019 die Juwelen aus dem Historischen Grünen Gewölbe geklaut haben. Verhandelt werden soll im Hochsicherheitsgebäude am Hammerweg. Vorerst hat die Kammer elf Termine bis Ende März bestimmt. Weitere Termine bis Ende Oktober wurden aber schon "reserviert". TAG24 hat hier alle Hintergründe zusammengefasst: wie der Coup ablief, wer dahintersteckt, wie die Fahnder die Verdächtigen schnappten.
Die Tat war so spektakulär wie dreist. Am 25. November 2019 schlugen Einbrecher mit Äxten auf Vitrinen des Juwelenzimmers im Historischen Grünen Gewölbes ein. Sie raubten 21 Schmuckstücke mit 4.300 Diamanten und Brillanten. Laut Anklage sind die sechs am Coup beteiligten Männer Mitglieder des Remmo-Clans. Und der scheint präzise vorgegangen zu sein.
So sollen die Täter schon Tage vor dem Bruch das historische Gitter vorm Fenster des berühmten Museums durchtrennt und provisorisch verklebt haben. Weder die Beschädigung fiel auf, noch erfassten die Außenkameras die "Arbeiten" am Gitter. Dieser Teil des Westflügels lag im "toten Winkel" der aufzeichnenden Technik.
Minuten vor dem Einbruch fiel die Straßenbeleuchtung vom Schloss aus. Die Schaltschränke der DREWAG im nur 200 Meter entfernten Pegelhaus waren außer Gefecht gesetzt worden. Mit einem Kochtopf, in dem Benzin brannte.
Und so kletterten unerkannt zwei Täter im Morgengrauen mit scharfen Waffen samt Schalldämpfer und Äxten durchs zertrennte Gitter ins Museum, liefen durch Preziosensaal und Wappenzimmer direkt ins Juwelenzimmer. Dort droschen sie auf die Vitrinen ein. Um 4.56 Uhr wurde der Einbruch bemerkt. Als die Polizei um 5.04 Uhr eintraf, waren die Täter über alle Berge.
Zwar lief bei der Tat die Videokamera, aber der Wachschutz hatte das Licht nicht angeschaltet. Die Aufnahmen sorgten später für Spott und Hohn. Immerhin: Am kaputten Fenster wurden DNA-Spuren gesichert.
Zwei Remmos wurden wegen Klau im Berliner Bode-Museum verurteilt
Die Täter indes fuhren im eigens umgespritzten A6 in die Kötzschenbrodaer Straße, wechselten dort das Fluchtfahrzeug. Den Audi zündeten sie an. In der Tiefgarage eines Wohnhauses! Zum Glück wurde niemand verletzt, aber 61 Fahrzeuge beschädigt.
Der Staatsanwalt wirft deshalb Abdul Majed (22), Rabih (27), Bashir (25), Mohamed (22) Ahmed (23) und Wissam (24) auch besonders schwere Brandstiftung zur Verdeckung einer Straftat vor.
Allein das kann die Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft kosten. Zusätzlich zu den bis zu zehn Jahren Haft, die wegen des Diebstahls der Juwelen drohen.
Und vor allem für Wissam könnte die Dauer hinter Gittern noch länger werden. Er und Ahmed wurden inzwischen zu je vier Jahren und sechs Monaten Knast verurteilt - weil sie im März 2017 aus dem Bode-Museum Berlin die 100 Kilogramm schwere Goldmünze "Big Maple Leaf" (3,3 Mio Euro) geklaut hatten.
Als der Einbruch ins Grüne Gewölbe geschah, lief gerade der Prozess um die Münze in Berlin. Doch beide Männer waren auf freiem Fuß. Einen Tag nach dem Juwelenraub in Sachsen kamen die zwei in Bayern in eine Verkehrskontrolle. Im Auto: Einbruchswerkzeug und Ganzkörperschutzanzüge.
Sicherheitskonzept des Grünen Gewölbes wird momentan "angepasst"
Die beiden Remmos waren auf dem Weg nach Erlangen, wo Wissam am Amtsgericht angeklagt und zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Er hatte 2018 bei einem Spezialhersteller unter anderem Hydraulikspreizer geklaut. Kam dieses Spezialwerkzeug im Grünen Gewölbe zum Einsatz? Auch das wird im Prozess geklärt werden müssen.
Die Verhandlung könnte sich Monate hinziehen. Denn der Clan schweigt. Wie immer. Den Tatnachweis müssen die Ermittler in mühevoller Kleinarbeit erbringen.
Übrigens: im Frühjahr 2019 beschloss der deutsche Museumsbund ausgerechnet in Dresden den Arbeitskreis Sicherheit. Jener tagte in London - am Tag, als in Dresden das Juwelenzimmer ausgeräumt wurde.
Nach dem Bruch berieten sich die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) mit einer internationalen Expertenkommission. Darunter den Chefs des Metropolitan Museum of Art New York, der Trejaktow Galerie Moskau und dem Rijksmuseum Amsterdam.
Derzeit wird das Sicherheitskonzept im Grünen Gewölbe "angepasst", wie es offiziell aus dem zuständigen SIB heißt. Hinter einer Blechwand wird an der Sicherheit des historischen Museums gearbeitet.
Ist Augusts Schatz noch zu retten?
Der Einbruch ins Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes traf Dresdner und Kunstliebhaber in aller Welt ins Herz. Es waren Teile des Staatsschatzes, die einst August der Starke zusammengetragen hatte, die brachial aus den Vitrinen gerissen wurden.
Die 21 Schmuckstücke mit insgesamt 4.300 Diamanten und Brillanten haben einen geschätzten Versicherungswert von 113,8 Millionen Euro. So verschwand auch die berühmte brillantbestückte Epaulette, mit dem sogenannten "Sächsischen Weißen" - einem großen Brillanten, der allein knapp 50 Karat schwer und somit einmalig ist.
Verschwunden ist auch die große Brustschleife der Königen Amalie Auguste. Ein Schmuckstück mit 51 großen und 611 kleine Brillanten. Außerdem sind große Teile der Diamantrosengarnitur weg.
Bis heute hoffen alle, dass der Schmuck gefunden wird.
Die neu aufgestellten Vitrinen im Grünen Gewölbe jedenfalls bleiben frei - für eine mögliche Rückkehr der Schmuckstücke.
Soko Epaulette jagt die Juwelenräuber
Nur vier Stunden nach dem spektakulären Einbruch im Grünen Gewölbe wurde die "Soko Epaulette" gegründet. Benannt nach einem der wertvollsten Beutestücke. Seither fahnden drei Staatsanwälte und bis zu 40 Polizisten nach Tätern, Hintermännern und Juwelen.
Hunderten Hinweisen wurde bisher nachgegangen, Blitzerfotos entlang des möglichen Fluchtweges ausgewertet, akribisch DNA-Spuren gesichert. Sogar 500.000 Euro ausgelobt.
Im November 2020 kam es zur bisher größten Razzia in der Geschichte der Bundesrepublik. In Berlin durchsuchten 1600 Polizisten Wohnungen des verdächtigen Remmo-Clans. Dabei klickten auch Handschellen. Mehr als 100 Handys wurden beschlagnahmt und ausgewertet.
Zielfahnder fassten im Sommer 2021 die restlichen unmittelbaren Tatverdächtigen, die nun alle in U-Haft auf den Prozess warten. Auch die vier mutmaßlichen Helfer, die das Museum auskundschafteten, wurden ermittelt.
Remmo-Clan: Eine Spur der Verbrechen
Die mutmaßlichen Juwelen-Diebe gehören dem berüchtigten Remmo-Clan an. Eine Großfamilie, deren Ursprung auf die arabische Volksgruppe der Mhallami zurückgeht. Halbnomaden, die einst aus der Türkei in den Libanon kamen, dort aber nie richtig anerkannt wurden.
Umso wichtiger war der Clan und seine Gesetze. Als der Bürgerkrieg ausbrach, flohen 18 Familienmitglieder 1975 von Beirut nach Westberlin. Heute zählt der Clan hier mehr als 1000 Mitglieder.
Und ständig hat die Justiz mit ihm zu tun: So erschossen Clan-Mitglieder 1992 in Schöneberg einen Kneiper. Bei einem Überfall auf ein Pokerturnier wurden 2010 rund 240.000 Euro erbeutet. Aus Schließfächern einer Sparkasse verschwanden 2014 Wertsachen im Wert von neun Millionen Euro. Erst 2021 wurde ein Geldtransporter überfallen. Beute: 650.000 Euro.
Im März 2017 stahlen Ahmed und Wissam im Bode-Museum die berühmte Goldmünze "Big Maple Leaf" im Wert von 3,75 Millionen Euro.
Titelfoto: Montage: dpa/Sebastian Kahnert, Holm Helis, Jürgen Karpinski/Grünes Gewölbe/Polizeidirektion Dresden/dpa