Dresdens brutaler Start in den Wahlkampf: Was bisher bekannt ist
Dresden - Wahlkampf brutal: Gleich in der ersten Plakatier-Nacht kam es in Striesen zu mehreren Angriffen auf Politiker. Der Europa-Parlamentarier Matthias Ecke (41, SPD) wurde dabei so heftig verprügelt, dass er am Sonntag im Krankenhaus operiert werden musste. Nun stellte sich mit Quentin J. (17) einer der Schläger selbst.
Es zog womöglich ein Schlägertrupp durch Striesen. Denn gegen 23.30 Uhr wollte Marcus Hetzel (50) am Kreisverkehr an der Bergmannstraße Plakate für die Grünen aufhängen, wurde angesprochen. "Die würden nicht lange da hängen, sagte einer. Er forderte, dass wir das Plakat herunternehmen, sonst könnte es uns so ergehen wie der anderen Gruppe ..."
Was damit gemeint war, kam zu der Zeit über einen Messenger: Das Team um Anne-Katrin Haubold (48, Grüne) war kurz zuvor am Pohlandplatz angegriffen worden und warnte die Parteifreunde.
Die vier Männer seien ihnen schon zuvor aufgefallen, weil sie "unangenehm laut waren", sagte Haubold gegenüber dem Spiegel. Einer habe sich direkt vor ihrem Begleiter aufgebaut. "Zwischen den beiden Nasen waren nur fünf Zentimeter. Er fragte: Was habt ihr gemacht? Mein Parteifreund antwortete: Wir haben ein Plakat für die Grünen aufgehängt. Dann kam aus der Gruppe: 'Scheiß Grüne!' Und der Angreifer verpasste meinem Kollegen einen Faustschlag ins Gesicht."
Der Täter habe dann noch einmal zugeschlagen und ein drittes Mal ausgeholt und den Grünen-Plakatierer (28) zu Boden gebracht, wo dann zwei der Männer auf ihn eingetreten hätten.
Er musste ambulant behandelt werden.
So schildert Marcus Hetzel (50, Grüne) den Vorfall des Schläger-Quartetts
Wenige Meter weiter auf der Schandauer Straße traf es dann Matthias Ecke: Wieder sollen es vier junge Männer gewesen sein, die den Familienvater krankenhausreif prügelten.
Auch Hetzel beschreibt mehrere junge Männer in dunkler Kleidung mit Basecaps. "Ich habe dann die Polizei gerufen", sagt er TAG24. "Als ich das Handy herausholte, haben sie sich etwas zurückgezogen. Die Polizei hat dann mit ihnen gesprochen."
Ob es sich dabei um die selben Männer handelt, prüft nun die "Task Force Gewaltdelikte" des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ).
Mit Quentin J. hat sich bereits ein Verdächtiger in der Nacht zum Sonntag im Revier Süd gestellt. Dort gab er an, Politiker Ecke geschlagen zu haben, machte sonst aber keine Angaben. Der bislang nicht Vorbestrafte kam nicht in U-Haft.
Es sind nicht die einzigen Wahlkampf-Krawalle des Wochenendes: Am Sonnabend beschädigte ein Trio (23, 23, 28) einen AfD-Infostand, in der Samstag-Nacht demolierten rund 20 Jugendliche 21 Wahlplakate unterschiedlichster Parteien auf der Schandauer Straße.
Die Ermittlungen dauern an.
Bei Angriff Jochbein und Augenhöhle gebrochen
Ecke geht es nach dem Angriff auf ihn den Umständen entsprechend gut. Er sei noch am Sonntag operiert worden, sagte Sachsens SPD-Chef Henning Homann (44).
"Er hat einen Bruch des Jochbeins und der Augenhöhle erlitten, sowie Schnittverletzungen und Hämatome im Gesicht."
Homann bedankte sich für die große Solidarität, die Ecke aus ganz Deutschland erfahre.
"Das tut uns allen sehr gut. Denn wer Opfer von Gewalt wird, das macht mit einem was. Matthias ist Opfer eines Schlägertrupps geworden. Es ist wichtig, dass alle Personen dingfest gemacht und vor Gericht gestellt werden."
"Völlig inakzeptabel": Entsetzen über die schäbige Attacke
Bundesweit, parteiübergreifend und sogar im Ausland sorgte der Angriff auf den Dresdner Politiker für Entsetzen.
"Achselzuckendes Hinnehmen ist niemals eine Option", kommentierte Bundeskanzler Olaf Scholz (65, SPD). "Denn Angriffe, wie der auf den Europaabgeordneten Matthias Ecke und auf andere Kandidatinnen und Kandidaten, bedrohen unsere Demokratie."
"Entsetzt über den bösartigen Angriff auf den Europaabgeordneten @MattEcke in Dresden. Meine volle Unterstützung und Solidarität", twitterte Roberta Metsola (45, EVP). "Die Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden."
"Mich hat das schockiert, was da stattgefunden hat in Dresden", sagte CDU-Chef Friedrich Merz (68). "Ich hoffe, dass wir eine streitbare Demokratie sind und bleiben. Aber dass dieser Streit mit Worten ausgetragen wird und nicht mit Fäusten. Was da passiert ist, ist wirklich völlig inakzeptabel."
Kommentar: Keine Einzeltäter
TAG24-Redakteur Eric Hofmann kommentiert das Geschehene
Wer waren die Männer, die Matthias Ecke so brutal zusammenschlugen? Das müssen jetzt die Ermittler klären. Glaubt man den bisher öffentlich gewordenen Zeugenaussagen und handelt es sich bei den Männern, um diejenigen, die bereits andere Wahlkämpfer einschüchtern wollten, so liegt ein Teil des Motivs in unbändigem Hass auf die Grünen.
Ob es sich dabei um gefestigte Neonazis oder Faschisten handelt, ist noch unklar. Aus welcher Ecke das Klima kommt, das solche Angriffe motiviert, ist jedoch unstrittig: Es war AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland, der vor mittlerweile mehr als sechs Jahren zur Jagd auf Demokraten aufrief und es war Pegida, die forderte "auszumisten".
Das Ergebnis: Seit Jahren zieht sich eine Spur von Sprengstoffanschlägen und Gewaltattacken durch Sachsen. In Polizeiberichten sind Tritte und Schläge gegen Flüchtlinge aufgrund derer Hautfarbe ein wöchentlicher Begleiter. Schwere Verletzungen sind bisher meist ausgeblieben.
Das ging bei Matthias Ecke anders aus, traf hier zudem einen Spitzenpolitiker und sorgte deshalb für einen Aufschrei weit über die Grenzen Sachsens hinaus. Überrascht ist indes keiner, der sich mit dem politischen Klima Sachsens etwas auseinandergesetzt hat. An machen Stellen hört man gar Verwunderung, dass es "erst jetzt" zu solcher Brutalität gekommen ist.
Dass die Dauerbeschallung mit Hass auf der Straße und in sozialen Netzwerken einzelne Personen zur Gewalt animiert, ist lange bekannt, aber eben auch von Strategen am rechten Rand genauso beabsichtigt. Denn die Angst soll den Gegner zum Schweigen bringen, Demokratie Schritt für Schritt verdrängen. Ob sich die Schläger dessen bewusst waren, muss noch geklärt werden. Woher der Anstoß kam, ist aber kaum mehr zu bezweifeln.
Deshalb bleibt es wichtig, dass in diesem Fall nicht wieder die Legende des Einzeltäters, verwirrter Jugendlicher oder "Lausbuben" propagiert wird: Es ist rechtsextremer Straßenterror, der jetzt erneut einen Schwerverletzten gefordert hat.
Titelfoto: Montage: xcitepress, Eric Münch