Uni-Forscher erklärt: So gefährlich sind die Corona-Proteste für unser Land

Chemnitz - Seit Monaten gehen in ganz Deutschland Gegner der Corona-Maßnahmen auf die Straßen. Viele Demonstranten sind friedlich, einige schlagen allerdings über die Stränge, verletzen Polizisten oder schmieden Mord-Pläne gegen Politiker. Doch wie gefährlich sind solche Protestzüge und welche Bürger laufen dort eigentlich mit? Protestforscher Dr. Piotr Kocyba (41) von der TU Chemnitz spricht nun über seine Beobachtungen.

Dr. Piotr Kocyba (41) von der TU Chemnitz erforschte jahrelang die Pegida-Bewegung. Er sieht Parallelen zu den sogenannten "Corona-Spaziergängen".
Dr. Piotr Kocyba (41) von der TU Chemnitz erforschte jahrelang die Pegida-Bewegung. Er sieht Parallelen zu den sogenannten "Corona-Spaziergängen".  © Maik Börner

Der Uni-Forscher untersuchte zusammen mit der Freien Universität Berlin und der Universität Wien die Pegida-Bewegung und erlebt nun mit den sogenannten "Corona-Spaziergängen" in Sachsen ein echtes Déjà-vu.

"Wie bei Pegida wollten es viele Beobachterinnen und Beobachter, Kommentatorinnen und Kommentatoren sowie Politikerinnen und Politiker zunächst nicht wahrhaben, dass wir es hier mit Personen zu tun haben, die gar keine klassischen Neonazis sein müssen, um unsere Demokratie zu gefährden und Gewaltphantasien Taten folgen zu lassen", erklärt Kocyba.

Brandgefährlich! Denn: "Solche Personen sind sogar viel gefährlicher als der extremistische Rand der Gesellschaft, weil sie eine größere Mobilisierungswucht entwickeln, äußerst rechtes Gedankengut hervorragend normalisieren und von der Mehrheitsgesellschaft nicht ansatzweise vergleichbar wie Neonazis stigmatisiert werden."

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Heißt im Klartext: Die "Corona-Spaziergänger" können zum Gift für unsere Demokratie werden, da sich ein Großteil der Teilnehmer radikalisieren könnte!

Hunderte Menschen gehen regelmäßig gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen auf die Straßen - wie hier in Bautzen.
Hunderte Menschen gehen regelmäßig gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen auf die Straßen - wie hier in Bautzen.

"Jetzt scheint man überrascht über die Radikalität zu sein"

Ein "Corona-Spaziergang" in Lichtenstein am Montag: Hier musste die Polizei hart durchgreifen, da einige Teilnehmer aggressiv waren.
Ein "Corona-Spaziergang" in Lichtenstein am Montag: Hier musste die Polizei hart durchgreifen, da einige Teilnehmer aggressiv waren.

Doch warum fällt es der Politik aktuell so schwer, gegenüber sogenannten "Spaziergängern" und "Querdenkern" klare Kante zu zeigen? "Ich glaube, dass es ein großes Bedürfnis nach gesellschaftlicher Harmonie gibt", erklärt Kocyba.

Eine so große Masse an Menschen zu kritisieren falle nicht leicht, "zumal diese nach dem äußeren Erscheinungsbild meist nicht wie Neonazis oder Hooligans daherkommen, sondern nach ganz gewöhnlichen Bürgerinnen und Bürgern aussehen." Daher werde dieser Gruppierung oft Verständnis geschenkt.

"Jetzt scheint man überrascht über die Radikalität zu sein, die jedoch von Beginn an in solchen Gruppendynamiken angelegt war. Wie gesagt, für mich ist das vor dem Hintergrund Pegidas ein Déjà-vu-Erlebnis", so der Forscher.

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Ob sich die "Corona-Spaziergänge" zu einer festen Bewegung entwickeln, ist aktuell unklar. "Um von einer Bewegung zu sprechen, müssen wir noch ein wenig abwarten und sehen, wie es mit den Protestierenden nach der Pandemie weitergehen wird", sagt Kocyba. Der Wissenschaftler geht allerdings davon aus, dass die Proteste weitergehen, "selbst wenn die Mobilisierungskraft mit der Zeit nachlassen wird".

Die Corona-Demos erinnern Uni-Forscher Dr. Piotr Kocyba (41) an die Pegida-Bewegung (Archivbild).
Die Corona-Demos erinnern Uni-Forscher Dr. Piotr Kocyba (41) an die Pegida-Bewegung (Archivbild).

Telegram-Verbot? Uni-Forscher: "Würde viel zu spät kommen"

Über Telegram organisieren sich die "Corona-Spaziergänger". Auch irre Mordpläne gegen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (46, CDU) tauchten dort auf. Braucht es daher härtere Regulierungen (Symbolbild)?
Über Telegram organisieren sich die "Corona-Spaziergänger". Auch irre Mordpläne gegen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (46, CDU) tauchten dort auf. Braucht es daher härtere Regulierungen (Symbolbild)?  © 123RF/bigtunaonline

Ein hartes Durchgreifen gegen den Kommunikationsdienst Telegram, so wie es Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (46, CDU) es gefordert hatte, hält Kocyba für nicht sinnvoll. "Gruppenbildung und Identitätsstiftung hat bereits stattgefunden, ein Verbot solcher Telegram-Chats würde damit viel zu spät kommen."

Und: Die Gruppierung würde schnell andere Wege finden, um ihre skurrilen Theorien zu verbreiten und eventuelle Mord-Pläne zu schmieden.

Statt einem Telegram-Verbot fordert der Wissenschaftler: "Der sächsische Ministerpräsident sollte vielmehr auf einen längst überfälligen Wandel der politischen Kultur in Sachsen hinarbeiten, was aber ein wesentlich fordernderes und langwierigeres Vorhaben wäre, als Verbote welcher Art auch immer auszusprechen."

Über Telegram wird - insbesondere von den rechtsextremen "Freien Sachsen" - immer wieder zu unerlaubten Corona-Demos aufgerufen. Auch Pläne zur Ermordung von Ministerpräsident Michael Kretschmer (46, CDU) tauchten laut einem Bericht des ZDF-Magazins "Frontal" in dem Netzwerk auf. Tage später wurden mehrere Wohnungen durchsucht. Es kam zu einer Verhaftung.

Titelfoto: privat, Maik Börner

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