Senioren, Sport, Kulturhauptstadt: Neue Chemnitzer Sozialbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky im TAG24-Interview
Chemnitz - Dagmar Ruscheinsky (63, parteilos) ist seit 1. Februar neue Sozialbürgermeisterin in Chemnitz. Im TAG24-Interview sprach die Chefin des Dezernates für Kultur, Sport und Soziales über ihren Start im Rathaus.
TAG24: Frau Ruscheinsky, nach circa sieben Jahren in Berlin sind Sie wieder in Chemnitz. Wie fühlt sich das an?
Dagmar Ruscheinsky: Es ist ein vertrautes Gefühl. Wenn ich mich durch die Stadt bewege, fühlt sich das völlig normal, fast selbstverständlich an. Also einfach rundum gut! Mein Mann und ich sind sogar in dasselbe Haus auf dem Kaßberg gezogen. Der gleiche Wohnungsschnitt, nur ein Stockwerk tiefer. Wir wissen also schon, wo wir die Möbel hinstellen (lacht).
TAG24: Welche Veränderungen sind Ihnen als erstes ins Auge gestochen?
Dagmar Ruscheinsky: Was mir sofort aufgefallen ist, ist, dass es in den zentralen Bereichen der Stadt kaum noch Baulücken gibt. Gerade die Wohnbebauung hat sich verdichtet und die Blockränder wurden geschlossen. Auch der sanierte und teilweise bezogene Poelzig-Bau und das Areal am Metropol-Kino stechen sofort ins Auge. Oder der Sonnenberg, auf dem ganze Straßenzüge saniert worden sind. Auch der Hauptbahnhof hat sich sehr verändert und sieht mittlerweile richtig schick aus. Da könnte sich manche Stadt eine Scheibe abschneiden.
TAG24: Seit dem 1. Februar sind Sie offiziell im Amt. Wie sah Ihre erste Zeit im Rathaus aus?
Ruscheinsky: Die ersten Wochen waren bis heute terminlich sehr dicht. Neben Stadtrats- und Ausschusssitzungen hatte ich Gespräche mit allen Amtsleitern meines Dezernates. Außerdem mit wichtigen Ansprechpartnern – sei es von der Landesdirektion oder zum Beispiel der Agentur für Arbeit. Bisher kam auf jeden Fall noch keine Langeweile auf.
Altern in den eigenen vier Wänden: "Ein selbstbestimmtes Leben ist für jeden sehr wichtig."
TAG24: Bei Ihrer Bewerbungsrede sagten Sie, Sie wollen die ältere Bevölkerung in die Mitte der Gesellschaft integrieren. Dabei reden wir mit rund 50.000 Menschen über 70 Jahren von einem guten Fünftel der Stadtbevölkerung. Was ist Ihr Plan?
Ruscheinsky: Hier ist die Stadt Chemnitz schon sehr gut aufgestellt. Es wird eine gut vernetzte Seniorenarbeit geleistet. Diese geht von Begegnungsstätten und Bürgertreffs über Reiseangebote und Kreativzirkel bis hin zu Computerkursen. Der Seniorenleitfaden „Leben in Chemnitz“ hat über 200 Seiten – das zeigt schon, wie vielfältig die Angebote sind. Ich würde nun gerne die Kompetenzen und das Engagement dieser Bevölkerungsgruppe stärker nutzen, also ehrenamtliches Engagement, wenn dazu Bereitschaft besteht. Über Freizeitaspekte hinaus könnte ich mir vorstellen, dass sich Senioren über Jugendarbeit und Nachbarschaftshilfe stärker in die Stadtgesellschaft einbringen wollen, möglicherweise kommen über so etwas wie Bildungspatenschaften die Generationen zusammen. Viele Familien können sich zum Beispiel keine private Nachhilfe für ihr Kind leisten. Ich bin mir sicher, dass unter den vielen hoch qualifizierten älteren Chemnitzern einige dabei sind, beispielsweise Ingenieure, die vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern gerne helfen würden.
TAG24: Auch wollen Sie ein Altern in den eigenen vier Wänden ermöglichen…
Ruscheinsky: Ein selbstbestimmtes Leben ist für jeden sehr wichtig. Dazu gehört auch, so lange wie möglich in der gewohnten Umgebung zu leben. Es bestehen interessante private Initiativen, die Nachahmung verdienen. Es gibt zum Beispiel Vereine und Plattformen, bei denen sich ältere Herrschaften gegenseitig helfen. Sei es beim Einkaufen, Rasenmähen oder bei Chauffeur-Diensten.
TAG24: Das Altern im eigenen Zuhause geht aber auch mit pflegerischen und räumlichen Kapazitäten einher. Wie gut sind wir hier in Chemnitz aufgestellt?
Ruscheinsky: Bei den räumlichen Kapazitäten hat Chemnitz in seinem Wohnraum-Angebot einen deutlichen Vorteil gegenüber vielen anderen Städten. Die GGG und andere Wohnbaugenossenschaften verfügen schon über entsprechende Angebote – etwa das „Wohnen mit Concierge“, bei dem verschiedene Dienstleistungen in Anspruch genommen werden können. So etwas ließe sich sicher ausbauen. Was die pflegerischen Kapazitäten anbelangt, leiden wir zwar nicht ausgesprochen Not. Aber es ist ähnlich wie überall: Pflegekräfte werden gebraucht.
TAG24: Kommen wir zum anderen Ende des Altersspektrums. Kinder und Jugendliche sind gerade bei psychosozialen Aspekten besonders von der Pandemie betroffen. Wie kann man hier Abhilfe schaffen?
Ruscheinsky: Das Thema Folgen der Pandemie hatte die Jugendhilfe bei uns von Anfang an auf dem Schirm und Kinder bei der Bewältigung unterstützt. Es wurden Lernhilfen, Sportangebote, digitale Formate und noch viel mehr in diese Richtung geschaffen. Die Sozialarbeiter, die sonst unterwegs sind, haben den Kontakt zu den Jugendlichen digital aufrechterhalten. Es wurden also Wege gefunden, die Kinder zu Hause zu erreichen.
Bildung, Lebensunterhaltung und Corona. Kann die Stadt die Menschen unterstützen?
TAG24: Bildung ist ein derzeit viel diskutiertes Thema in der Stadt. Etliche Schulen werden gebaut, wie zum Beispiel die Oberschule am Richard-Hartmann-Platz (geplante Kosten 32 Millionen Euro). Doch fehlen die Lehrer – gerade in den Naturwissenschaften. Wie lösen wir das Problem?
Ruscheinsky: Vonseiten der Stadt drängen wir darauf, dass die Lehrerausbildung in Chemnitz bleibt und nach Möglichkeit ausgebaut wird. Insbesondere Oberbürgermeister Sven Schulze ist hier mit allen Akteuren im Gespräch. Die Ausbildung selbst ist jedoch nur das eine - und Sache der Landesregierung. Wir als Stadt können für Anziehungspunkte sorgen. Wenn es genug bezahlbare Wohnungen gibt, Kitaplätze und Urbanität - sprich: wenn „etwas los ist“ - erhöht das die Chancen, dass Lehrer nach Chemnitz kommen und hierbleiben. Die Attraktivität der Stadt wollen wir auch im Rahmen der Kulturhauptstadt mit aller Vehemenz nach vorne bringen.
TAG24: Strom, Gas, Benzin: Die Lebenshaltungskosten befinden sich derzeit auf Rekordniveau. Die Tafeln berichten von großem Andrang. Kann die Stadt diese Menschen unterstützen?
Ruscheinsky: Das Thema ist derzeit bei der Politik in der Diskussion. Die Stadt Chemnitz bezahlt die Energiekosten als Bestandteil der gesetzlichen Leistungen für die Kosten der Unterkunft. Aktuell müssen die Berechtigten auch bei steigenden Preisen mit diesen Sätzen auskommen, die jeweils zu Jahresbeginn festgelegt werden. Wir passen jedoch turnusmäßig gemäß den gesetzlichen Regelungen die städtische Richtlinie für die Kosten der Unterkunft an. Aktuell wird dazu eine Vorlage für den Stadtrat vorbereitet.
TAG24: Das Gesundheitsamt stellt gerade in Pandemiezeiten einen weiteren Löwenanteil Ihres Dezernates dar. Die Inzidenzen steigen, Omikron ist auf dem Vormarsch. Gleichzeitig gilt es, im März die „Einrichtungsbezogene Impfpflicht“ durchzusetzen. Bereiten Ihnen das Sorge?
Ruscheinsky: Das Thema liegt von Tag eins an bei mir auf dem Tisch. Es wird sicherlich eine Herausforderung. Wir sind aber in der Tat sehr gut aufgestellt. Wir haben ein Team mit Kräften aus Pandemie-Management und Gesundheitsamt, das sich der Aufgabe kompetent stellt. Wir werden das Gesetz selbstverständlich umsetzen unter der Maßgabe der Versorgungssicherheit in den Einrichtungen.
Chemnitz 2025: "Einer der Kernpunkte dabei ist die Weiterentwicklung der Chemnitzer Kultureinrichtungen"
TAG24: Schwindende Mitgliederzahlen und coronabedingt nicht durchführbare Veranstaltungen stellen nicht nur die Sportvereine vor Existenzprobleme. Wie gedenken Sie zu helfen?
Ruscheinsky: Die Kollegen im Sportamt sind relativ zuversichtlich, dass das Problem sich bald reguliert, wenn die Sportstätten wieder uneingeschränkt genutzt werden können. Bisherige Erfahrungen zeigten, dass einmalige Sonderleistungen häufig nicht die erhoffte Wirkung enthalten. Das A und O ist die Aufrechterhaltung des Sportbetriebs. Im Rahmen unserer Sportförderrichtlinien werden die Vereine dabei unterstützt. Am Ende steht und fällt das Problem mit der Entwicklung der Corona-Pandemie.
TAG24: Chemnitz schreitet dem Jahr 2025 mit immer größeren Schritten entgegen. Als Kulturbürgermeisterin sind Sie hier maßgeblich involviert. Welche Ambitionen haben Sie? Was lässt sich in so kurzer Zeit überhaupt noch Neues anstoßen?
Ruscheinsky: Es ist eine große Aufgabe, ein permanenter Aufbruch, ein dauernder Prozess der Stadtentwicklung in den unterschiedlichen Bereichen, auch in möglichst allen Fachbereichen der Stadtverwaltung, der nachhaltig auch über das Jahr 2025 hinauswirken soll, als ein gesamtstädtischer Auftrag. Das Kulturhauptstadtjahr ist nicht das Ende des Prozesses. Einer der Kernpunkte dabei ist die Weiterentwicklung der Chemnitzer Kultureinrichtungen. Begonnen wurde zum Beispiel schon mit der Entwicklung des Areals rund um das Haus des Brücke-Malers Karl Schmidt-Rottluff. Andere Themen sind das Museum für Naturkunde im Tietz und auch das Stadtarchiv. Interessant fände ich, der stadthistorischen Ausstellung, die im Schlossbergmuseum untergebracht ist, mehr Raum zu geben.
TAG24: Frau Ruscheinsky, wie endet ihr erster Monat als Chemnitzer Sozialbürgermeisterin?
Ruscheinsky: Mit einer Reise nach Esch an der Alzette in Luxemburg, eine der Kulturhauptstädte 2022. Dort ist zum Monatsende die Eröffnungsfeier. Esch war ebenso wie Chemnitz eine sehr industriell geprägte Stadt (auch wenn sie viel kleiner ist). Vergleiche sind immer hilfreich, und auch, aus den Erfahrungen anderer zu lernen.
Titelfoto: Uwe Meinhold