FDP-Kandidat Müller-Rosentritt: "Die Zuganbindung nach Chemnitz ist eine Katastrophe!"
Chemnitz - Wer wird die Stimme der Chemnitzer im Bundestag? In den kommenden Tagen stellt TAG24 alle Direktkandidaten für die Bundestagswahl vor, die für den Chemnitzer Wahlbezirk antreten und einer der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien angehören. Heute: Frank Müller-Rosentritt (38, FDP). Der Bundestagskandidat für Chemnitz will im Falle seiner Wiederwahl einiges voranbringen.
TAG24: Herr Frank Müller-Rosentritt, wo sehen Sie die größte Stärke von Chemnitz – wo die größte Schwäche?
Müller-Rosentritt: Wir haben in Chemnitz ein unglaubliches Ingenieurs-Know-How. Dazu eine innovative Kreativszene und Technische Universität sowie einen unglaublich starken Mittelstand. Und wir haben Raum zum Entwickeln – das schafft Perspektive.
Vor allem in den Feldern "Wasserstoff", "Autonomes Fahren" und "Alterstechnologien". Bei beiden Themen können wir ganz vorne sein.
Eine große Schwäche sehe ich im Marketing von Chemnitz. Unsere Stadt schafft es sehr geschickt, ihre vielen Vorzüge zu verbergen.
Ein Beispiel: In Chemnitz ist man innerhalb einer Dreiviertelstunde in einem Skigebiet im Winter und im Sommer innerhalb von einer Dreiviertelstunde am Strand und kann segeln gehen. Warum findet sich das im Stadtmarketing nicht wieder? Und natürlich die Zuganbindung: eine Katastrophe!
Müller-Rosentritt über Digitalisierung: "Wir brauchen dringend eine Transformation"
TAG24: Ein Punkt in Ihrem Wahlprogramm ist die Digitalisierung. Manche bezeichnen Deutschland hier als Schwellen- oder sogar Entwicklungsland. Wie sehen Sie das? Wo stehen wir und wo müssen wir hin?
Müller-Rosentritt: Ja, das kann man so sagen. Wir brauchen dringend eine Transformation – deshalb braucht es ein Digitalministerium in der neuen Regierung. Wenn ich Freunden im Ausland erzähle, dass meine Tochter während der Krise zwei Monate ihre Lehrerin nicht gesehen hat, fallen die aus allen Wolken.
Auch in den Verwaltungen braucht es einen digitalen Ruck. Stapelweise Ordner für einen Bauantrag … wir müssen raus aus der Papierzeit und rein in die digitale Gesellschaft. Das muss für alle Amtsgänge gelten.
TAG24: Dazu braucht es Fachkräfte. Laut Branchenverband Bitkom waren Ende 2020 insgesamt 86.000 Stellen für IT-Experten unbesetzt. Wie will die FDP diesem Problem begegnen?
Müller-Rosentritt: Erstens müssen wir unseren Nachwuchs zeitgemäß ausbilden. Dabei darf es keinen Unterschied machen, aus welchem Elternhaus man kommt. Das ist leider in Deutschland noch viel zu oft der Fall. Deswegen muss zeitgemäße, technische Ausstattung (Laptops) zur Standardausrüstung der Schulen werden.
Logik, einfache Programmiersprache und Hardwarekenntnisse müssen schon in der Grundschule Standard werden, damit Jungs und Mädchen gleichzeitig herangeführt werden. Dazu braucht es auch entsprechend geschulte Lehrer.
"Chemnitz muss zum Magnet für Studierende und Talente aus der ganzen Welt werden"
TAG24: Und zweitens?
Müller-Rosentritt: Müssen wir die Fachkräfte hierher locken. Chemnitz muss zum Magnet für Studierende und Talente aus der ganzen Welt werden – und wir müssen die Absolventen hier halten. Wir müssen ein viel, viel größeres Marketingbudget in die Hand nehmen – auch für eine bessere internationale Vermarktung der Stadt.
Vor einem Monat war ich in Tel Aviv in der Deutschen Außenhandelskammer. Da kommt man rein und sieht Bücher von Bayern und Nordrhein-Westfalen, von München und von Düsseldorf.
Da war weder ein Buch von Sachsen noch von Chemnitz. Und das ist überall so. Jakarta, Malaysia, Tokio: Hier haben andere Länder über Jahrzehnte Standortmarketing betrieben – Chemnitz kommt dort einfach nicht vor.
TAG24: Kürzlich stieg die Zahl der Dollarmillionäre in Deutschland auf 1,5 Millionen. Die zehn Prozent der reichsten Haushalte besitzen mehr als die Hälfte des Reichtums. Trotzdem wehrt sich ihre Partei gegen eine Vermögenssteuer. Müssten nicht gerade die Superreichen bei der Krisenbewältigung zur Kasse gebeten werden?
Müller-Rosentritt: Die Frage suggeriert ja, dass sie das nicht bereits werden. Die obersten zehn Prozent der Bestverdiener tragen 50 Prozent der Einkommenssteuerlast und finanzieren damit schon wesentlich unseren Sozialstaat.
Was mich beim Thema Umverteilung persönlich stört, ist, dass die Debatte schon bei einem hohen mittelständischen Einkommen geführt wird. Der Spitzensteuersatz von 42 Prozent beginnt heute schon bei 57.000 Euro Jahreseinkommen. Das ist ein sehr gutes Gehalt – aber kein Spitzengehalt.
Das ist der Gymnasiallehrer, der Ingenieur, der Abteilungsleiter bei VW, etc.. Wir sollten denen, die gut Geld verdienen auch dankbar sein, dass sie einen so großen Anteil an der Finanzierung des Staates haben.
Müller-Rosentritt zu E-Mobilität: "Sollten auch Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe im Blick haben"
TAG24: Themenwechsel: Die Bundestagsparteien haben bei der Klimapolitik ziemlich unterschiedliche Zeithorizonte, was die sog. "Grüne Null" betrifft. Die FDP liegt hier mit 2050 hinten. Gleichzeitig will sie wenig Restriktionen und sagt, die Freie Marktwirtschaft regelt auch dieses Problem.
Müller-Rosentritt: Die Dekarbonisierung unserer Welt und Wirtschaft wird uns noch Dekaden beschäftigen. Bei diesem Ziel besteht Konsens. Aber es gibt fundamental unterschiedliche Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen – hier unterscheiden wir uns extrem von anderen Parteien.
Wir sagen: Nicht die Politik muss entscheiden, was der beste Weg zur Einsparung von CO2 ist. Der Unternehmer, der Markt muss entscheiden. Beispiel Automobilindustrie: Statt einseitiger Fokussierung auf E-Mobilität (die ihre Daseinsberechtigung hat, keine Frage) sollten wir auch Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe im Blick haben. Hier darf nicht einseitig subventioniert werden. Derzeit wird ausschließlich batterieelektrische Mobilität beim CO2-Flottengrenzwert anerkannt. Das kann nicht sein.
TAG24: Können Sie das konkretisieren?
Müller-Rosentritt: Der Flottenaustausch dauert mit E-Autos zulange. Bei derzeit 300.000 Zulassungen würde es 233 Jahre dauern, bis wir die deutsche Automobilflotte auf E-Mobilität umgerüstet hätten. Stattdessen sollten wir uns fragen, was können wir heute schon tun?
Hier setze ich auf synthetische Kraftstoffe. Bei diesen haben wir aktuell zwar nur 80 Prozent CO2-Einsparung – aber dafür auf die gesamte Flotte. Wir können unsere Infrastruktur, Zulieferer, Technologie erhalten – also alle unsere Alleinstellungsmerkmale – setzen und hätten eine viel stärkere Antwort auf den Umweltschutz.
"Kostenpflichtige Parkplätze sind der Todesstoß der Chemnitzer Innenstadt"
TAG24: Kommen wir von der Klima- zur Kommunalpolitik. Die FDP hat in der Haushaltssitzung im März breite Zustimmung für einen Innenstadt-Fonds von 160.000 Euro bekommen – obwohl das Budget im Doppelhaushalt 2021/2022 ziemlich auf Kante genäht war. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden oder ist hier noch Luft nach oben?
Müller-Rosentritt: Da ist noch viel Luft nach oben: Wir müssen grundsätzlich überlegen, wie wir die Innenstadt attraktiver gestalten. Hierfür braucht es eine Innenstadt-Kommission. Wie sind unsere Laufwege in der Stadt? Wie organisiere ich das Leben in der Stadt? Wie sieht es mit der Erreichbarkeit aus? Ich bin zum Beispiel total für eine Brötchentaste (Taste am Parkscheinautomaten für Kurzzeitparken; Anm. d. Red.).
TAG24: Also sind Sie dementsprechend gegen das neue, kostenpflichtige Parkraumkonzept?
Müller-Rosentritt: Ja, total. Weil ich am Ende einer ohnehin schon betroffenen Innenstadt den Todesstoß verpasse. Das wichtigste ist erst einmal, die Leute in die Innenstadt zu holen. Hier gilt es den ÖPNV auszubauen – aber auch der Realität ins Auge zu schauen. Die Hälfte der Besucher kommt aus dem Umland und diese Menschen fahren Auto.
TAG24: Letzte Frage, Herr Müller-Rosentritt: Warum sollten Sie die Chemnitzer am 26. September wählen?
Müller-Rosentritt: Weil ich mich als ersten Lobbyisten für unsere Stadt in Berlin und der Welt sehe. Ich möchte in den nächsten vier Jahren dafür sorgen, dass ich nicht nur Chemnitz in die Welt bringe, sondern auch die Welt nach Chemnitz hole.
Weiter sind mir der Kampf für Fernbahnanbindung, eine weltoffene Stadt und Freiheitsrechte natürlich wichtig. Und ich will gemeinsam mit unserem starken Mittelstand Chemnitz dorthin bringen, wo es hingehört: Nicht im Schatten von Dresden und Leipzig – sondern auf Augenhöhe.
Titelfoto: Sven Gleisberg