Chemnitz spart an Jugendhilfe, Psychologie-Professor warnt: "Lage ist extrem angespannt"
Chemnitz - Einsparungen in Millionenhöhe sollen Kinder und Jugendliche in Chemnitz treffen - allein 1,29 Millionen Euro in der Kinder- und Jugendhilfe. "Und das ist erst der Anfang", befürchtet Karla McCabe, Direktorin der Stadtmission.
Nachdem Träger und Stadträte Widerstand gegen die Streichungen angekündigt hatten, warnen nun auch Forscher der TU Chemnitz davor, das Sparpaket umzusetzen: "Die Datenlage zeigt, dass die Situation in der Stadt extrem angespannt ist. Wir haben nach der Pandemie einen riesigen Handlungsbedarf", so Professor Udo Rudolph vom Institut für Psychologie.
Als das letzte Netz für junge Menschen, bevor sie durchs Raster in den Abgrund stürzen, gilt in Chemnitz bisher die Beratungsstelle "Prisma". "Jeder Fünfte, der zu uns kommt, hat keine Unterkunft, ein Drittel keinen Schulabschluss, 30 Prozent keine finanzielle Existenzgrundlage", sagt Leiter Daniel Arnold (48), der hier seit 22 Jahren tätig ist.
Ihm und seiner Kollegin hätte die Stadtmission nach der Spar-Ansage von Sozialbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky (63, parteilos) eigentlich schon vorige Woche kündigen sollen. Stattdessen kündigt Direktorin McCabe an: "Wir werden rechtliche Mittel prüfen und wir werden kämpfen."
Eine große Demo ist für den 6. Dezember ab 15.45 Uhr vorm Rathaus geplant.
Betroffener berichtet: "Ich würde immer noch auf der Straße leben"
Seit 30 Jahren gibt es die Jugendberatung "Prisma" in der Rembrandtstraße 13B. Sozialarbeiter der Stadtmission haben hier bisher rund 25.000 junge Menschen unterstützt.
Aktuell suchen monatlich rund 80 14- bis 27-Jährige Hilfe für den Start in ein selbstständiges Leben. Einer von ihnen ist Maris Berndt (21). Er betrat die Räume im April 2021 mit wenig Hoffnung und großen Problemen.
"Ich kam wohnungslos nach Chemnitz. Ohne 'Prisma' würde ich immer noch auf der Straße leben und hätte keine Perspektive", sagt der junge Mann, der aus einem kleinen Dorf stammt und in schwierigen familiären Verhältnissen aufwuchs.
"Ich hatte nicht das beste Menschenbild und kannte keine Unterstützung von Erwachsenen, war immer darauf gefasst, dass mir eine Falle gestellt wird", erzählt Maris. ",Prisma' war der erste Ort, wo ich sagen konnte: Ich bin Maris, nennt mich bei diesem Namen."
Titelfoto: Kristin Schmidt