Chemnitz - Am "Loch der Schande" zwischen TIETZ und Zschopauer Straße erleben die Chemnitzer seit dem heutigen Mittwochmittag ihr blaues Wunder. Die Stadt hat kurz vor dem offiziellen Kulturhauptstadt-Opening die zugewucherte Brachfläche mit einem blauen Sichtschutz versehen. Zeitlicher Zufall oder wurde die Stadtverwaltung durch eine TAG24-Anfrage aufgeschreckt?
Längst gilt es als neues Contiloch in Chemnitz, das sogenannte Baufeld 3 der "Johannis-Vorstadt" mitten in der Stadt. Die Leipziger HANSA Real Estate will auf 10.000 Quadratmetern unter dem Namen "Moritz am Park" Luxuswohnungen für Senioren bauen, doch der eigentlich für Herbst 2023 geplante Baustart verzögert sich bis heute.
"Es ist eine schwache Leistung gerade von der Stadtverwaltung, bis kurz vor der Kulturhauptstadt keine Lösung für den Anblick organisiert zu haben", ärgert sich Tino Fritzsche (63, CDU). Für die seit Monaten wahrscheinlichste Lösung eines Interims-Parkplatzes, wie sie auch das BSW favorisiert, sei es inzwischen zu spät.
Toni Späth (26, Linke) fügt hinzu: "Eine Großbaustelle neben einem der großen Chemnitzer Kultur-Hotspots ist kein gutes Aushängeschild für eine Kulturhauptstadt."
Er erwarte kreative Lösungen für eine ansprechende Gestaltung: Graffiti-Wände für Nachwuchskünstler oder Infotafeln der Kunst- und Kulturangebote.
Kulturhauptstadt-Planen sollen Bauzäune schöner machen
Für Stefan Pahlitzsch (53, AfD) wären Führungen unter dem Motto "Zentraler Platz im Wandel" denkbar, bei "man die historische Bedeutung erklären und mit Schautafeln das moderne Aussehen zeigen könnte."
SPD-Stadtrat Detlef Müller (60) ging noch am Vormittag davon aus, dass die Veranstalter "die Umzäunung zeitnah passend gestalten und die Besucher eine kreative Sichtschutzgestaltung vorfinden werden."
Inwieweit Kreativität oder doch eher Zeitdruck beim städtischen Handeln eine Rolle gespielt haben, ist unklar. TAG24 hatte bereits am heutigen Mittwochmorgen im Rathaus angefragt, ob das "Conti-Loch 2" trotz der hitzigen Diskussionen während der letzten Monate zur KuHa-Eröffnung in diesem Zustand bleiben soll.
Die heutigen Maßnahmen seien "planmäßig", schreibt das Rathaus in seiner Antwort. Am Montag und Dienstag habe der städtische Bauhof die Bauzäune stabilisiert und ergänzt sowie das Umfeld "entrümpelt".
"Seit dem heutigen Mittwochmorgen ist ein beauftragtes Dienstleistungsunternehmen damit befasst, die Bauzaunfelder einheitlich mit blauen Hüllen aus Meshmaterial zu versehen. Ab Donnerstagmittag werden dann Planen mit Motiven der Kulturhauptstadt und einem Fotowettbewerb der eins energie angebracht."
Der Investor selbst kündigte erste vorbereitende Maßnahmen für das Frühjahr an, als Grund für die anhaltenden Verzögerungen wurde der schleppende Verkauf der Wohnungen genannt.
Das "Original" lag Jahrzehnte brach
Das ursprüngliche Conti-Loch hätte in diesem Jahr ein großes Jubiläum gefeiert. Die berühmteste Chemnitzer Baugrube der Nachwendezeit am Dresdner Platz wäre 30 Jahre alt geworden. Wie hatte der Platz, auf dem heute das Technische Rathaus steht, so einen Kultfaktor erlangt?
Die Geschichte rund um das Areal begann schon zu DDR-Zeiten. 1987 wurde der Bau eines Mikroelektronik-Werks begonnen. Vier Jahre später übernahmen zwei Investoren das Gelände an der Bahnhofstraße. Es gab große Pläne: Die neu gegründete Conti-Bau GmbH wollte Mitte der 1990er-Jahre dort einen Neubau mit Büros, Geschäften, einem Kino und einem Hotel errichten - die Conti-Galerie.
1994 wurden die alten Gebäude abgerissen und 1995 die neu entstandene Baugrube übergeben. Das Projekt scheiterte vermutlich an fehlendem Geld. Statt einer modernen Galerie entwickelte sich das Gelände zu einer grünen Oase mitten in Chemnitz. Erst wucherte Unkraut in der Grube, dann wuchsen Sträucher und sogar Bäume.
In den frühen 2000er-Jahren gab es eine neue Idee: Im Conti-Loch sollte eine überdachte Ski-Arena entstehen. Aber auch daraus wurde nichts.
2012 kaufte Investor Claus Kellnberger das Grundstück und läutete damit das Ende der Kultgrube ein. Der Wildwuchs wurde gerodet, die Grube verfüllt. Anfang 2016 begann die Bebauung des Areals. Ende 2017 war der Neubau des Technischen Rathauses abgeschlossen.