Neues Leben in der alten Chemnitzer Gartenstadt
Chemnitz - Es ist ein kleines Paradies mitten in der großen City: die Gartenstadt Gablenzsiedlung in Chemnitz.
Das geschichtsträchtige Wohngebiet zwischen Geibelstraße, Krummer Zeile und Postweg wurde vor mehr als hundert Jahren als eine der ersten deutschen Selbstversorger-Siedlungen gebaut.
Nach einer preisgekrönten Komplettsanierung zur Jahrtausendwende verfiel die schwer gefragte Wohnsiedlung in einen kleinen Dornröschenschlaf. Jetzt sorgen junge Bewohner für frischen Wind in den alten Mauern.
"Bei unseren Spaziergängen am Wochenende haben wir uns immer ein Stück Kuchen gewünscht", sagt Franziska Schaub (32). Vor acht Jahren zog sie mit ihrem Mann Alexander (34) in die Geibelstraße, mitten ins historische Selbstversorger-Idyll. "Es fühlt sich an wie ein Dorf inmitten von Chemnitz", sagt Alexander Schaub. Wenn da die Sache mit dem Kuchen nicht wäre.
"Ich war schon immer Hobbybäckerin und mein Mann ist passionierter Kaffeetrinker. Dadurch hat sich die Idee von einem Café ein bisschen entwickelt."
Am 6. Mai findet ein Brunnenfest statt
Das Ehepaar nahm sein Glück selbst in die Hand, ganz nach dem Grundgedanken der Selbstversorger-Siedlung. Damit stießen sie auch bei ihrem Vermieter auf offene Ohren: "Die CAWG war gleich Feuer und Flamme."
Sie mieteten ein leer stehendes Büro in der Geibelstraße 47, das die alten Bewohner noch als "Gemüseladen" kennen. Ein passender Standort für einen Neuanfang: "Genau gegenüber befand sich bis zum Krieg auch ein Café", sagt Franziska. "Aber das wurde zerbombt."
Noch wird im neuen Gartenstadtcafé gestrichen, gewerkelt und renoviert. Bis Juni soll alles fertig sein. Dann schauen die Gäste auf den denkmalgeschützten Jugendstil-Brunnen direkt vor der Tür, dem am 6. Mai sogar ein Brunnenfest gewidmet ist. Die beiden Jung-Gastronomen werden auch dabei sein - Franziska Schaub mit frisch gebackenem Kuchen, ihr Mann mit seiner mobilen Kaffeemaschine.
Das Interesse ihrer Nachbarn ist ihnen gewiss. "Denn hier gibt es ja kaum etwas", erzählt Elfriede Ittner (94), die selbst in der Gartenstadt geboren wurde, hier aufgewachsen ist und von diesem Fleckchen Erde nie wegwollte. Franziska Schaub kann das gut verstehen: "Wir fühlen uns hier angekommen."
Viel Grün für Selbstversorger
Das Konzept der Gartenstadt stammt ursprünglich aus England. Die Idee hatte der Brite Ebenezer Howard im Jahr 1898. Auch in Deutschland fand das Konzept der "kleinen Stadt in der Stadt" mit genossenschaftlichen Wohnanlagen, eigener Verwaltung und viel Grün zur Selbstversorgung schnell Anklang.
Im Jahr 1902 gründete sich die Deutsche Gartenstadt-Gesellschaft (DGG). Ein Jahr später entstand mit "Schönblick" die erste Wohnanlage in Berlin, 1909 folgte in Hellerau die erste deutsche Gartenstadt, die heute auf dem Weg zum UNESCO-Weltkulturerbe ist.
Die Gartenstadt Gablenzsiedlung wurde ab 1910 im Heimatschutzstil geplant (erster Spatenstich: Pfingsten 1915) und bis 1937 stetig erweitert. Fast alle der 650 Wohnungen in 42 Häusern verfügen über einen eigenen Garten.
Bereits in den 1920er-Jahren entstanden mit Sport-, Musik- und Züchtervereinen neue Formen des Zusammenlebens nach dem Ideal des "neuen Menschen". Sogar ein Montessori-Kindergarten entstand, gegründet von einem Frauenausschuss. Auch ein Konsum und ab 1930 ein Altenheim wurden eingerichtet.
Von den vielen Einrichtungen gibt es heute nur noch einen Friseur sowie den Friedhof. Und bald wieder ein eigenes Café.
Titelfoto: Sven Gleisberg