Chemnitz - Das Jobcenter Chemnitz beauftragt den Zoll, um eine Pfändung bei einem Kind durchzusetzen. Es geht um Bürgergeld, das von dem Elfjährigen zurückgefordert wird.
Ein an den Minderjährigen adressierter Brief kündigt die Vollstreckung von 465,19 Euro für Dienstag zwischen 11 und 13 Uhr an. Darin heißt es: "Als Vollziehungsbeamter darf ich auch ohne Ihre Anwesenheit und Einwilligung (oder die eines erwachsenen Mitbewohners oder Bevollmächtigten) Ihr Besitztum durchsuchen."
"Ich war geschockt, als ich das gelesen habe", sagt Mutter Mandy Jantzen (51), die beim ersten Pfändungsversuch Ende Februar nicht zu Hause war. "Was will man denn bei meinem Sohn pfänden?"
Die vierköpfige Familie erhält ergänzendes Bürgergeld. Die Höhe der Unterstützung schwankt, weil der Vater in einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt ist und dadurch unterschiedlich hohe Einkünfte hat.
Zurückgefordert wird ein Betrag, der nach Berechnungen des Jobcenters für den elfjährigen Sohn zu viel ausgezahlt wurde.
Rechtsanwältin fassungslos
Rechtsanwältin Silke Brewig-Lange (50), die sich des Falles annahm, ist fassungslos: "Das habe ich in 25 Jahren Berufspraxis noch nicht erlebt. Ich frage mich, warum die Rückforderung gegen einen Minderjährigen nicht gestundet wird oder gegebenenfalls mit künftigen Zahlungen ratenweise verrechnet. Stattdessen reisen Beamte aus Erfurt an, um ein Kinderzimmer zu durchsuchen."
Sollte niemand zu Hause sein, droht der Zoll damit, eine "richterliche Durchsuchungsanordnung bei dem zuständigen Amtsgericht" zu beantragen.
Eine TAG24-Anfrage, aus welchem Grund das Geld per Pfändung eingetrieben werden soll, beantwortete das Jobcenter bisher nicht.
Kanone gegen Spatz
Kommentar von Mandy Schneider
Vollstrecker, die 140 Kilometer anreisen, um das Kinderzimmer eines Elfjährigen nach Wertgegenständen zu durchsuchen - das klingt wie ein schlechter Scherz. Will der Zoll wirklich das Sparschwein eines Kindes beschlagnahmen, falls überhaupt eines vorhanden ist?
Selbst wenn eine berechtigte Rückforderung des Bürgergeldes besteht, sollte es andere Mittel und Wege geben - wie beispielsweise eine Verrechnung in Raten -, um eine zivilisierte und sinnvolle Lösung des Problems zu finden.
Die gewählte Variante dagegen treibt allein die Kosten in die Höhe: Für den ersten vergeblichen Vollstreckungsversuch kamen schon Gebühren auf die Schuldsumme obendrauf. Sollte beim zweiten Anlauf der Pfändung nichts zu holen sein, bleibt der grandiose Aufwand vermutlich am Steuerzahler hängen.
Es ist die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu stellen. Was macht das mit einem Kind, das vielleicht mittags von der Schule nach Hause kommt und fremde Menschen in seinem Zimmer vorfindet, die seine persönliche Habe ausräumen?
Hier sind wohl sprichwörtlich die Kanonen auf einen ziemlich armen Spatz gerichtet.