Großer Wirbel um Chemnitzer Innenstadt-Demo: Das sagt die Polizei dazu
Chemnitz - Die Polizei Chemnitz steht am politischen Pranger: Grund ist ein Einsatz am Montagabend. Wie seit Wochen zogen an diesem Tag wieder Hunderte Corona-Protestler illegal, aber unbehelligt durch die Stadt. Doch diesmal schritt die Polizei erstmals ein: Gewaltsam aufgelöst wurde allerdings der Gegenprotest von weniger als 30 linken Demonstranten.
Das war passiert: Gegen 18 Uhr marschierten mindestens 300 Personen vom Schillerpark in Richtung Innenstadt. Eine halbe Stunde später traf der Zug auf 27, laut Polizei linksorientierte, Gegendemonstranten.
Diese blockierten den Weg, hielten dem Zug aufgespannte Regenschirme entgegen. Wie die Polizei erklärte, hätte die Gruppe versucht, die Polizeikette zu durchbrechen. Die Folge: Gerangel, Festsetzungen, Identitätsüberprüfungen und für jeden eine Anzeige.
Auf einem Video der Situation - aufgenommen von Anti-Corona-Demonstranten - ist von einem Angriff auf die Polizeikette jedoch nichts zu sehen. Konfrontiert mit diesen Aufnahmen, änderte die Polizei ihre Argumentation: "Nach unserem Dafürhalten war eine körperliche Auseinandersetzung zu befürchten", so der stellvertretende Pressesprecher Andrzej Rydzik (36).
Sammy Geyer (21, Grüne) war selbst vor Ort: "Lange ist alles ruhig abgelaufen. Als die Querdenker zum Weiterlaufen ansetzten, ist die Polizei plötzlich auf uns zugerannt." Menschen wurden zu Boden geworfen, einer mit dem Knie fixiert. Die Corona-Protestler liefen weiter.
Der Polizeieinsatz im Video: So gingen die Beamten gegen den Gegenprotest vor
Chemnitzer Polizei bestreitet Sympathie zu Corona-Protestlern, will den Fall neu bewerten
Am nächsten Morgen hagelte es Kritik: Linken-Stadtrat Klaus Bartl (71): "Dass das Entgegenhalten von Regenschirmen gefährlicher eingeschätzt wird als 300 Menschen, die sich an keinerlei Regeln halten, ist absurd."
Bundestagsabgeordneter Bernhard Herrmann (55, Grüne) berichtet von Zeugen, die Polizisten ohne Maske beobachteten und sich mit den Corona-Gegnern solidarisierten. Die rechtsextremen "Freien Sachsen", selbst an den Protesten beteiligt, lobten das Vorgehen der Polizei als "mutig".
Polizeisprecher Andrzej Rydzik betonte, dass es kein Verständnis oder Sympathie gebe für die "unsozialen" Proteste, die das Gemeinwohl gefährdeten. Ziel des Einsatzes sei es auf keinen Fall gewesen, den Protest zu ermöglichen, sondern beide Parteien strikt voneinander zu trennen.
Stattdessen sei ursprünglich geplant gewesen, die Rädelsführer des 300-Mann-Aufzugs aus ihrer Anonymität zu holen. Der Fall werde aufgearbeitet, die Lage "neu bewertet, um gegebenenfalls unser Vorgehen anzupassen", so Rydzik.
Kommentar von Gabriel Schwab: "Was sich am Montagabend abgespielt hat, ist skandalös!"
Wieso wird hier nicht eingeschritten? Diese Frage wird der Polizei angesichts der zahlreichen Corona-Demonstrationen mit Hunderten Teilnehmern in der ganzen Region immer wieder gestellt. Eine befriedigende Antwort blieb bislang aus. Nach den Geschehnissen am Montagabend kann sich die Polizei jedoch kein Ausweichen mehr leisten.
Aufarbeitung ist gefragt, ein Wechsel der bisherigen Strategie. Pauschalverurteilungen gegen die Beamten sind weder zielführend, noch sind sie fair. Das Auflösen einer Demonstration hat seine Tücken. Bei den hitzigen Gemütern, angefacht von rechtsextremen Kräften, kann die Lage schnell eskalieren. Wie gefährlich das für Polizei und Bürger werden kann, zeigte sich im Sommer in Zwönitz. Damals kam es bei der Auflösung illegaler Corona-Proteste immer wieder zu verletzten Polizisten.
Dennoch: Was sich am Montagabend in Chemnitz abgespielt hat, ist nicht vermittelbar - skandalös! Der beste Beweis: Applaus von genau denjenigen, die die Proteste in der Region instrumentalisieren und maßgeblich initiieren - den rechtsextremen "Freien Sachsen". "Es scheint, als gäbe es in Chemnitz innerhalb des Kretschmer-Apparates mutige Polizisten", schreiben diese in ihrem Telegram-Kanal.
Wer hingegen wirklich Mut bewiesen hat, ist die kleine Gruppe von Gegendemonstranten, die sich der gewaltigen Überzahl von Corona-Gegnern entgegenstellte. Bezahlt wurden sie dafür mit Anzeigen und Polizeigewalt. Bislang: Wiedergutmachung kann hier nur eine penible und ehrliche Aufarbeitung des Montagabends bringen.
Titelfoto: Haertelpress