Germanist erforscht die Umbenennung: Wie aus Chemnitz einst Karl-Marx-Stadt wurde

Chemnitz - Diese Stadt wurde nicht mal 40: Karl-Marx-Stadt.

Stadt, wie hast du dich verändert: 37 Jahre lang hieß Chemnitz Karl-Marx-Stadt.
Stadt, wie hast du dich verändert: 37 Jahre lang hieß Chemnitz Karl-Marx-Stadt.  © Kristin Schmidt

Nach der Umbenennung am 10. Mai 1953 begannen sich die Menschen vor 70 Jahren damit anzufreunden, nun in einem Ort zu wohnen, der ganz anders hieß.

Adressstempel mussten geändert werden, Briefköpfe, das Telefonbuch. Der Dresdner Germanist Johannes Schütz hat die aufregenden Wochen von damals erforscht.

Schütz beginnt seine Ausführungen mit einer dicken Überraschung: "Es war anfangs gar nicht gesetzt, dass Chemnitz umbenannt wird. Die SED-Oberen suchten die Stadt erst noch", so Schütz.

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Hintergrund: Man beging das Karl-Marx-Jahr. Der Vordenker des Kommunismus war 1883 gestorben - sein Todestag jährte sich also zum 70. Mal.

Mit dem in der Stalinzeit üblichen Pathos entwickelte auch die erst vier Jahre alte DDR eine Erinnerungskultur. Marx-Schriften wurden neu aufgelegt, Kongresse abgehalten, Feierlichkeiten geplant.

Zunächst war Eisenhüttenstadt für würdig befunden worden, so Schütz weiter. Die Umbenennung sollte am 14. März 1953 sein. Doch nachdem Sowjetdiktator Stalin am 5. März das Zeitliche gesegnet hatte, wurde aus Eisenhüttenstadt Stalinstadt. Chemnitz kam ins Spiel.

Der Germanist und Historiker Johannes Schütz arbeitet an der TU Dresden.
Der Germanist und Historiker Johannes Schütz arbeitet an der TU Dresden.  © Norbert Neumann
Tag der ersten Umbenennung: Am 10. Mai 1953 wurde aus Chemnitz Karl-Marx-Stadt. DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl (1894-1964) mit Jungpionier Jürgen Hetzel.
Tag der ersten Umbenennung: Am 10. Mai 1953 wurde aus Chemnitz Karl-Marx-Stadt. DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl (1894-1964) mit Jungpionier Jürgen Hetzel.  © Archiv
Die Rückbenennung im Juni 1990.
Die Rückbenennung im Juni 1990.  © DPA

1965 sollte "800 Jahre Karl-Marx-Stadt" gefeiert werden: Es hagelte Beschwerden

Juli 1990: Die Spuren der Rückbenennung sind noch überall sichtbar.
Juli 1990: Die Spuren der Rückbenennung sind noch überall sichtbar.  © imago images/Wolfgang Maria Weber

"Zum einen war der Wiederaufbau noch nicht so weit fortgeschritten. So konnte man sie nach den Vorstellungen für eine sozialistische Stadt formen", sagt Schütz.

"Zum anderen stand Chemnitz als 'Deutsches Manchester' für den frühen Industriekapitalismus. Es war ein Symbol für den Kapitalismus."

Mit der Umbenennung habe die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus ein Ende gefunden, wie es 1953 DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl (1894-1964) formulierte. "Man schneidet die Geschichte ab und versucht, eine eigene Tradition zu schaffen", ordnet Schütz das Motiv der Führung des jungen Staates ein.

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Auch auf zwei kleine Pointen aus dem Jahr 1953 ist er gestoßen. Für den Tag der Umbenennung wurde extra der "Kampf- und Feiertag 1. Mai" auf den 10. Mai verlegt.

Und - auch wenn die Bürger den neuen Namen mehrheitlich eher hingenommen hätten: Als 1965 "800 Jahre Karl-Marx-Stadt" gefeiert werden sollte, hagelte es aus der Bevölkerung Beschwerde-Eingaben.

Titelfoto: dpa, Norbert Neumann

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