Geplante Eigenheim-Siedlung sorgt für Streit in Chemnitz-Mittelbach
Chemnitz - Eigentlich ist die Welt im Chemnitzer Ortsteil Mittelbach "An den Gütern" noch in Ordnung: eine verträumt gelegene Eigenheimsiedlung, weite Felder, kaum Verkehr. Doch über der Idylle sind dunkle Wolken aufgezogen.
Ein Chemnitzer Planungsbüro will seit Jahren ein altes Gehöft zu einem "attraktiven denkmalgeschützten Mehrgenerationen-Wohnungsstandort" umbauen. Zwei weitere Einfamilienhäuser seien auf der Wiese davor geplant, so Chef Mario Heinze.
Die Anwohner beobachten die Vorgänge seit 2018 mit wachsendem Unmut.
"Hier war eine gewachsene dörfliche Struktur, eine Streuobstwiese, Pferde", sagt Sven Sehrer (59). "In den alten Gebäuden waren Fledermäuse und Falken. Das alles ist verschwunden."
Seine Schwester Katja Nitsch-Sehrer (45) ergänzt: "Wir verlieren hier immer mehr Lebensqualität. Es werden nach Belieben Bäume gefällt, plötzlich haben wir eine anderthalb Meter hohe Aufschüttung vor den Augen, und das Oberflächenwasser fließt uns auf die Grundstücke."
Der Bauherr weist jegliche Schuld von sich
Bauherr Mario Heinze wiederum weist jegliche Schuld von sich. Er habe nur Bäume beseitigt, die krank und nicht mehr zu retten waren. Die Aufschüttung "erfolgte zu einem Zeitpunkt, als das Gelände noch Innenbereich war" (im Baurecht ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil).
Außerdem habe ihm niemand "schriftlich oder mündlich irgendwelche Probleme mit Oberflächenwasser angezeigt, die auch nicht vorliegen können".
Die Anwohner, aber auch das Rathaus sehen das alles anders.
Die Stadtverwaltung wertet die Aufschüttung in einem TAG24 vorliegenden Dokument als nicht genehmigten Bau und bestätigt außerdem, dass zehn Bäume illegal gefällt wurden. Allerdings könne man aus personellen Gründen kein Verfahren einleiten, und es sei zudem keine Ordnungswidrigkeit nachweisbar.
Inzwischen hat das Rathaus eine Satzung erarbeitet, die heute im Bauausschuss des Stadtrats Thema ist. Bevor die Räte abstimmen, dürfte Baubürgermeister Michael Stötzer (51, Grüne) noch einige Fragen beantworten müssen.
Heißes Eisen: Kommentar von Raik Bartnik
Man staunt schon manchmal, welche erstaunlichen Wege Vorgänge im Bürokratie-Paradies Deutschland so nehmen.
Ein Baulöwe will im Speckgürtel der drittgrößten Stadt eines Bundeslandes seit Jahren einen denkmalgeschützten Dreiseitenhof umbauen und bekommt keine Genehmigung. Doch beim Agieren des Geschäftsmannes drückt das Rathaus der Stadt offensichtlich alle Augen zu. Wie ist es sonst zu erklären, dass der Investor ungesühnt illegal Bäume fällen kann? Die Frage nach dem Warum beantworten die Behörden zuerst mit zu wenig Personal, wenige Tage später mit der fehlenden Nachweisbarkeit einer Ordnungswidrigkeit. Jeder Falschparker fragt sich: Warum passiert mir so etwas nie?
Bereits vorgenommene Aufschüttungen identifiziert die Behörde zwar als nicht genehmigten Bau, aber geahndet wird das nicht. Lieschen Müller, die zu schnell gefahren ist, hätte längst einen Bußgeld-Bescheid im Briefkasten.
Ob den Nachbarn durch die Aufschüttung Wasser auf die Grundstücke fließt, scheint sowohl Bauherr als auch Behörden wenig zu interessieren.
Plötzlich definiert dasselbe Rathaus den Geltungsbereich der zusammenhängenden Bebauung neu, erarbeitet eine Satzung zur städtebaulichen Ordnung der Bebauung und will sie den Stadträten zur Beschlussfassung vorlegen.
Der Investor bekommt endlich seine Baugenehmigung und das Rathaus hat das heiße Eisen vom Tisch? So einfach wird es am Ende hoffentlich nicht.
Titelfoto: Maik Börner