Doku-Zentrum in der "Täterstadt"? Angehörige der NSU-Opfer sorgen sich um ihre Sicherheit in Chemnitz
Chemnitz - Das Pilotprojekt für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex in Chemnitz wurde diese Woche vorgestellt. Bereits im Vorfeld gibt es Kritik. Denn Opfervertreter finden den Standort in einer "Täterstadt" fragwürdig. Die Verantwortlichen halten dagegen.
"Die Opfer haben Sicherheitsbedenken und wollen daher nicht in die Täterstadt gehen", erklärt Barbara John (86, CDU).
Die Professorin ist die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer und Hinterbliebenen der Terrorzelle.
Chemnitz war einer der Orte, in dem die Rechtsterroristen untertauchten. Zudem begingen sie hier mehrere Raubüberfälle.
Laut Barbara John schade es nicht, wenn in "Täterstädten" wie Chemnitz auf die Verbrechen des NSU aufmerksam gemacht wird.
Angehörige werden über Entwicklung des Projektes informiert
Ein ähnlicher Tenor herrscht auch bei den Hinterbliebenen selbst. Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız (47) vertrat beim NSU-Prozess die Familie von Enver Şimşek (†38), dem ersten Opfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds".
"Grundsätzlich begrüßen die Angehörigen ein NSU-Dokumentationszentrum", erklärt sie. Allerdings hätten sie sich zu einem Standort in Chemnitz noch nicht positioniert.
"RAA Sachsen" ist einer der Träger-Vereine für das Pilotprojekt. Projektleiter Jörg Buschmann (40) hält die Einteilung von "Täter-" und "Opferstädten" für zu kurz gegriffen: "Es gab in den Tatortstädten NSU-Unterstützer und genauso gibt es in Täterstädten Betroffene von neonazistischer Gewalt", so Buschmann. Er könne jedoch die Bedenken der Hinterbliebenen nachvollziehen.
Die Angehörigen würden laut Buschmann über die Entwicklung des Projektes informiert. Zudem werden die Angehörigen zur Eröffnung eingeladen. Überdies: "Wir begrüßen jeden anderen Dokumentationsort in Deutschland ebenfalls."
Neues Zentrum für NSU-Dokumentation
Das Pilot-Dokumentationszentrum zum NSU in Chemnitz soll im Frühjahr 2025 eröffnet werden und geht bis mindestens Ende 2025.
Der Standort ist das ehemalige Stadtwerkehaus in der Augustusburger Straße 1.
Das Projekt wird von drei Organisationen getragen: RAA Sachsen, dem Verein ASA-FF sowie der Initiative Offene Gesellschaft.
Die Finanzierung teilen sich Bund und Land. Kostenpunkt: vier Millionen Euro. Die Wanderausstellung "Offener Prozess" soll im kommenden Jahr gezeigt werden.
Darüber hinaus soll es Bildungs- und Vermittlungsangebote geben sowie ein Archiv und einen Versammlungsort zum Gedenken.
Titelfoto: Ralph Kunz