Die letzte Holocaust-Überlebende der Stadt: "Als Jüdin fühle ich mich wohl in Chemnitz"
Chemnitz - Die Jüdische Gemeinde in Chemnitz ist 135 Jahre alt - und sehr lebendig. Renate Aris (86) ist eine ihrer aktivsten Mitglieder und zudem die letzte jüdische Holocaust-Überlebende in der Stadt. TAG24 sprach mit der Seniorin über ihr bewegtes Leben, ihr Engagement und die gegenwärtige politische Lage.
Renate Aris wurde 1935 in Dresden geboren, wuchs in der Zeit des Nationalsozialismus auf. "Als Tochter jüdischer Eltern hatte ich bis 1945 keine Kindheit. Ich durfte zum Beispiel keine Schule besuchen, nicht mit anderen Kindern auf der Straße spielen." Auch während des Zweiten Weltkriegs widerfuhr Renate Aris Schreckliches.
"1942 wurden fast alle meiner etwa 20 Familienmitglieder aus Dresden deportiert und getötet. Meine Großmutter väterlicherseits kam mit dem ersten Transport nach Riga und wurde dort stehenden Fußes erschossen."
Renate Aris versteckte sich mit Mutter und Bruder nach den Bombenangriffen im Februar 1945 unter falschem Namen bei Bekannten in einem Privathaus auf dem Weißen Hirsch vor den Nazis, entkam so dem Konzentrationslager.
1969 zog sie aus beruflichen Gründen nach Chemnitz - arbeitete hier bis zur Wende als Leiterin der Kostümabteilung des Fernsehstudios.
"Was mich immer wieder erschüttert ist, dass auch junge Leute diesen Einstellungen so verfallen, die in ihrem Leben noch nie Krieg erlebt haben."
Damals hatte die Jüdische Gemeinde in der Stadt nur noch elf Mitglieder, heute sind es rund 550 - hauptsächlich Zuwanderer aus den ehemaligen Sowjetstaaten. Renate Aris klärt seit 1990 bei Führungen oder Vorträgen über ihre Religion und den Nationalsozialismus auf.
Heute fühle sie sich in unserem Land und in Chemnitz auch als Jüdin wohl. "Ich habe, egal wo ich war, nie wieder irgendwelche persönlichen Angriffe oder Repressalien erlebt - weder in der DDR noch im vereinten Deutschland. Da spreche ich für mich und nicht für andere."
Sie könne aber nicht verstehen, warum immer mehr Menschen die AfD wählen oder sich bei Corona-Protesten Rechtsradikalen anschließen.
"Was mich immer wieder erschüttert ist, dass auch junge Leute diesen Einstellungen so verfallen, die in ihrem Leben noch nie Krieg erlebt haben." Auch den aktuellen Ukraine-Konflikt hält sie für brandgefährlich. "Die Zukunft für die jungen Leute macht mir schon Sorgen. Es ist sehr lang friedlich geblieben in Europa."
Noch bis zum 16. Februar ist im Chemnitzer Rathaus eine Wanderausstellung zu 135 Jahren Jüdische Gemeinde in Chemnitz zu sehen.
Titelfoto: Uwe Meinhold