Bei Republikflucht geschnappt: Chemnitzerin erinnert sich an ihre Zeit im Kaßberg-Knast

Chemnitz - Der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis richtet in seiner Ausstellung das Hauptaugenmerk auf die Zeitzeugen, die ihre Erlebnisse schildern. Eine von ihnen ist Petra Weise (70), die wegen Republikflucht inhaftiert war und durch die BRD freigekauft wurde. Sie erinnert sich an die dramatische Zeit.

Zeitzeugin Petra Weise (70) im Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis.  © Ralph Kunz

Die Bibliothekarin Petra Weise ist in Halsbrücke aufgewachsen. 1972 heiratete sie. 1973 kam der Sohn zur Welt, 1976 die Tochter. Ihre Tochter litt an einer seltenen Blutkrankheit. "In der DDR konnte sie nicht geheilt werden. Die notwendigen Medikamente waren nicht erhältlich."

Im Jahr 1980 verschlimmerte sich die Krankheit der Tochter und die Heilungs-Chancen wurden immer geringer.

"Wir durften die DDR zur Behandlung nicht verlassen. In der DDR würde meine Tochter nicht überleben", erinnert sich Weise. Das war der Grund, warum sich die Familie zur Flucht in den Westen entschloss, um das Leben der Tochter zu retten.

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Ihr Bruder, der ebenfalls flüchten wollte, gab ihnen den Tipp für eine Route von Bulgarien nach Jugoslawien. Doch an der Grenze wurden sie von Soldaten festgenommen, in die DDR zurückgebracht.

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Petra Weise über Haftbedingungen: "Wir waren acht Frauen in einer Zelle, es war sehr eng"

Eine rekonstruierte Zelle im Kaßberg-Gefängnis.  © Ralph Kunz

Anschließend wurde ihnen der Prozess gemacht. Petra Weise saß vier Monate in Untersuchungshaft in Berlin und wurde wegen versuchter Republikflucht verurteilt. Anschließend verbrachte sie acht Monate im Frauenzuchthaus Hoheneck.

1981 wurden sie und ihr Mann von der BRD freigekauft. Die Kinder folgten acht Monate später. Petra Weise wurde im Kaßberg-Gefängnis inhaftiert.

"Wir waren acht Frauen in einer Zelle. Es war sehr eng", schildert Weise. Nach dem Freikauf in die BRD konnte ihre Tochter endlich behandelt werden.

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1992 zog Petra Weise zurück nach Chemnitz. Sie hat bereits mehrere Romane veröffentlicht, in denen sie das Erlebte schildert, führt regelmäßig Zeitzeugen-Gespräche an Schulen.

Steffi Lehmann (36), wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte, in der Dauerausstellung.  © Ralph Kunz

Von hier ging's in den Westen

Das Kaßberg-Gefängnis heute. Neben Wohnungen befindet sich dort auch der Lern- und Gedenkort.  © Ralph Kunz

Das ehemalige Kaßberg-Gefängnis spielte insbesondere in der DDR eine bedeutende Rolle, doch reicht seine Geschichte weit über diese Zeit hinaus.

Erbaut wurde die Anlage in den Jahren 1876/77 als Königlich-Sächsische Gefangenenanstalt mit einem kreuzförmigen Grundriss. Es gab drei Zellenflügel.

Während der NS-Zeit erhielt das Gefängnis ab 1938 einen vierten Zellentrakt. Vor allem politische Gefangene und Menschen, die aus der "Volksgemeinschaft" ausgeschlossen waren - darunter Homosexuelle, Bettler und Prostituierte -, wurden dort festgehalten. Im Zuge der Reichspogromnacht im November 1938 wurden auch Juden inhaftiert.

In den 1960er-Jahren wurde das Kaßberg-Gefängnis zum zentralen Ort für den Häftlingsfreikauf durch die Bundesrepublik Deutschland. Mehr als 33.000 Personen wurden bis 1989 freigekauft.

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Das Kaßberg-Gefängnis während der DDR-Zeit.  © Ralph Kunz

Der Freistaat Sachsen nutzte das Gefängnis von 1990 bis 2010 weiter. Nach der Schließung gründete sich 2011 ein Verein, der sich für den Erhalt des früheren Gefängnisses einsetzte.

Seit Herbst 2023 ist der Lern- und Gedenkort mit der Dauerausstellung geöffnet.

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