"Anzeigen-Hauptmeister" findet Nachahmer: Chemnitzer melden mehr Falschparker

Chemnitz - Mit der Jagd auf Falschparker erlangte ein 18-Jähriger aus Sachsen-Anhalt als selbsternannter Anzeigenhauptmeister bundesweit Berühmtheit - und löste in Chemnitz eine Petzwelle aus.

Sein Beispiel macht auch in Chemnitz Schule: "Anzeigenhauptmeister" Niclas M. jagt Falschparker.
Sein Beispiel macht auch in Chemnitz Schule: "Anzeigenhauptmeister" Niclas M. jagt Falschparker.  © Julian Stähle

Innerhalb eines Monats stieg die Zahl der Anzeigen, die über die Internetseite weg.li an das Ordnungsamt geschickt wurden, wie in keiner anderen großen Stadt: auf 418 Anzeigen - eine Steigerung um mehr als ein Drittel.

Das Chemnitzer Ordnungsamt sieht Anzeigenportale, die eifrige Anschwärzer in einer Bestenliste feiern, kritisch: "Der eigentliche Sinn einer Bürger-Anzeige wird unterlaufen, da diese Portale regelrecht animieren, andere anzuzeigen. Nicht selten artet dies dann in einer Anzeigenflut aus", so eine Stadtsprecherin.

Laut Ordnungsamt verursachen diese Anzeigen wegen Fehlern, erforderlicher Rücksprachen, Anhörungen und geringerer Akzeptanz oft deutlich mehr Aufwand als solche von Polizei oder Vollzugsdienst.

Gesamtzahl der "Anzeigenhauptmeister" hält sich in Chemnitz im Vergleich zu anderen Städten in Grenzen

Jörg Petzold (63), Sprecher des Auto Club Europa für die Region Sachsen Süd steht Bürger-Anzeigen skeptisch gegenüber.
Jörg Petzold (63), Sprecher des Auto Club Europa für die Region Sachsen Süd steht Bürger-Anzeigen skeptisch gegenüber.  © Uwe Meinhold

"Anzeigenerstatter, die systematisch vorgehen und mitunter bis zu 20 Anzeigen an einem Tag zusenden, werden von der Bußgeldstelle informiert, dass Anzeigen in dieser Größenordnung nicht bearbeitet werden", heißt es von der Stadt.

Jörg Petzold (63) vom Auto Club Europa warnt: "Wer mit Halbwissen auf die Suche nach Verkehrssündern geht, kann sogar der Sache schaden. Privatpersonen dürfen einen Verstoß dokumentieren. Aber selbst eine Ahndung, Verwarnung oder Ähnliches unter den Scheibenwischer zu klemmen, dürfen sie nicht."

So groß der jüngste Anstieg war: Die Gesamtzahl der "Anzeigenhauptmeister" hält sich in Chemnitz im Vergleich zu anderen Städten in Grenzen: 74 waren im April auf weg.li registriert, drei pro 10.000 Einwohner. In Frankfurt am Main sind es 3303 aktive Melder, 43 pro 10.000 Einwohner.

Was kostet ein Knöllchen?

In Chemnitz stellen 23 Mitarbeiter des Ordnungsamtes von Berufs wegen Knöllchen aus.
In Chemnitz stellen 23 Mitarbeiter des Ordnungsamtes von Berufs wegen Knöllchen aus.  © Kristin Schmidt

Im vergangenen Jahr wurden in Chemnitz 86.711 Falschparker abgestraft. Der Großteil vom Ordnungsamt (83.663), weitere 2698 von der Polizei, nur 350 nach Bürger-Anzeigen.

Die Kosten für ein Knöllchen bei abgelaufener Parkuhr belaufen sich, je nach Dauer, auf 20 bis 40 Euro. Bekommt ein Autofahrer einen Strafzettel im absoluten Halteverbot, kostet dieser mindestens 25 Euro.

Platziert ein Fahrer sein Auto ohne gültige Berechtigung auf einem Behindertenparkplatz, werden 55 Euro fällig (mehr Infos unter bussgeldkatalog.org).

Insgesamt wurden in Chemnitz 2023 rund 2,34 Millionen Euro an Bußgeldern verhängt. Den ruhenden Straßenverkehr überwachen aktuell 23 Politessen, eine Stelle ist unbesetzt.

Selbst ernannte "Anzeigenhauptmeister" werden auf dem Kaßberg schnell fündig - wie bei diesen auf der Kreuzung parkenden Autos.
Selbst ernannte "Anzeigenhauptmeister" werden auf dem Kaßberg schnell fündig - wie bei diesen auf der Kreuzung parkenden Autos.  © Ralph Kunz

Gut gedacht, aber ... Kommentar von Mandy Schneider

Die Motivation klingt ehrenhaft: Verkehrswende selber machen durch sichere Radwege und freie Bürgersteige, besonders für Kinder! So steht es auf der ehrenamtlich betriebenen Internetseite weg.li, die ihre Aufgabe darin sieht, den Ordnungsämtern bei der Arbeit zu helfen und gegen Falschparker vorzugehen.

Aber die Praxis sieht anders aus: Der "Erfolg" des Anzeigen-Portals gründet sich auf eine überschaubare Anzahl von Nutzern, die aus persönlichen Motiven heraus - Geltungssucht, Langeweile, pauschaler Hass auf Autofahrer - Falschparker im Dutzend "jagt".

Im Extremfall erreichen sie das genaue Gegenteil von mehr Verkehrssicherheit und gegenseitiger Rücksichtnahme: Die zuständigen Behörden werden mit Pillepalle-Anzeigen geflutet, die sie selbstverständlich prüfen müssen, was zwangsläufig zu einem Rückstau bei der Bearbeitung relevanter Verfahren führt.

Deshalb: Es ist gut, wenn es eine einfache Möglichkeit gibt, einen besonders krassen Verstoß auch mal anzuzeigen. Doch die wenigen Klicks sollten wohlüberlegt erfolgen. Wer sich dagegen zum Anzeigenhauptmeister berufen fühlt, tut der Allgemeinheit einen größeren Gefallen, wenn er sich auf die freie Stelle im Vollzugsdienst der Stadt bewirbt.

Titelfoto: Julian Stähle

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