Rodlerin Sylke Otto: Aus Karl-Marx-Stadt an die Weltspitze
Chemnitz - Sie war eine der erfolgreichsten Frauen der Stadt. Doch die Karriere der weltbesten Rennrodlerin Sylke Otto (52) aus Karl-Marx-Stadt begann mit einem schmerzhaften Volltreffer: "Hinter unserer Wohnung in Markersdorf war ein Rodelhang. Mein erstes Rennen gegen meine Freundin endete am Metall-Briefkasten. Das hat lange geeitert."
Aus der wagemutigen Jugendlichen wurde eine der erfolgreichsten Rennrodlerinnen der Welt. Zwei Olympiasiege 2002 und 2006, fünffache Weltmeisterin, fünfmal Europameisterin, vier Gesamtweltcupsiege, 37 siegreiche Weltcuprennen - nichts konnte Sylke Otto aufhalten.
Begonnen hatte die Karriere an der POS Kurt Schneider im Heckert-Gebiet. "In allen Schulen wurden künftige Sportler gesichtet. Ich war zu groß zum Turnen, aber angeblich perfekt fürs Rennrodeln." Ein Sport, den sie nicht kannte. "Wir wurden aber so sanft an den Sport herangeführt, dass ich bald Spaß hatte."
Sylke Otto erfüllte ihren Traum von der Kinder- und Jugend-Sportschule Oberwiesenthal, wurde Sportsoldatin und bewegte sich bald wie ein Geschoss durch die Eiskanäle der Welt.
Die ehrgeizige Sportlerin maß sich auf dem Rodel auch mit Jungs, später mit Männern. Überhaupt ließ sich das selbstbewusste DDR-Kind nichts vormachen: "Mit 17 habe ich schon Trabireifen gewechselt."
Sylke Ottos Tipp: "Habt ein Ziel und verfolgt Eure Träume konsequent."
Sieben Jahre war Sylke Otto die schnellste Frau der Welt auf dem Rennrodel. 2007 beendete sie ihre Karriere, weil sie mit ihrer ersten Tochter schwanger war.
"Wenn ich etwas mache, dann richtig. Da ich Mutter wurde, musste ich aufhören mit Sport."
Lebenspartner Ronald (59) stammt aus Hartenstein und lebte zur Wende in Franken. 1992 zog sie zum ihm nach Zirndorf (bei Fürth).
Seit 2008 arbeitet die parteilose Chemnitzerin für die SPD im Zirndorfer Stadtrat, "weil ich nicht meckern wollte, sondern mitgestalten". Seit 2016 führt sie den Kinderkleiderladen "Purzelbaum".
Sylke Otto weiß um das Problem starker Frauen, "die wegen der Kinder zurückstehen". Ihr Tipp: "Habt ein Ziel und verfolgt Eure Träume konsequent. Ich bin bis heute stolz darauf, dass ich mit 13 gegen den Willen meiner Mutter mit dem Leistungssport begann, statt auf dem Spielplatz rumzuhängen."
Denkmal für die Frauen
Kommentar von Bernd Rippert
Hinter jedem starken Mann steht eine starke Frau, heißt es oft ein wenig mitleidig mit den "versteckten Wesen". Doch in Chemnitz brauchen sich Frauen nicht hinter den Kerlen zu verstecken. Sie sind auch ohne Mann eine Macht.
Die TAG24-Serie "Die starken Frauen von Chemnitz" widerlegt das alte Vorurteil der vornehmlich "männlichen Industriestadt". Frau denke nur an Marianne Brandt, die geniale Bauhaus-Konstrukteurin, die den meisten Machos der 20er-Jahre haushoch überlegen war.
Auch in moderneren Zeiten wachsen die emanzipierten Frauen mehr und mehr nach, füllen ihre Rolle im Beruf und im Leben so selbstverständlich aus wie die Männer von jeher.
Kein Wunder, wenn ich an die DDR-Sozialisation der Frau denke. Klar, wirkliche Gleichberechtigung kannten die Machos der SED noch nicht. Aber aus wirtschaftlicher Not mussten sie den Frauen frühzeitig Rechte und Bildungs-Chancen gewähren, von denen die West-Hausfrauen noch Jahrzehnte nur träumen durften.
Großartig, was Chemnitzer Frauen Tag für Tag leisten. Sie sind die Vorbilder des Alltags.
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Titelfoto: Udo Dreier