Legendär! Im Karl-Marx-Städter "Waschhaus" wurden bis zur Wende wilde Partys gefeiert
Chemnitz - Heutzutage ist es nur noch eine unscheinbare Wiese nahe der Bushaltestelle "Ebersdorf" in Chemnitz, auf der Anwohner ihre Wäsche zum Trocknen aufhängen. Doch so mancher Karl-Marx-Städter Jugendliche der 1980er hat hier seine schönsten Nächte erlebt. Das "Waschhaus Ebersdorf" brachte damals neue Rhythmen in den beschaulichen Stadtteil - das gefiel nicht unbedingt jedem Anwohner. Michael Richter (59), besser bekannt als "DJ MPunkt", erlebte hier die wilden 80er.
Wenn Michael Richter als Kind vom Sportplatz nach Hause ging, führte sein Weg am "Waschhaus" vorbei. Am Wochenende sah er die riesigen Schlangen, die sich schon am späten Nachmittag bildeten.
Die Neugierde ließ ihn nicht los, und so schlich er sich schon als 14-Jähriger in den Jugendclub. Das war Mitte der 70er - und noch eine andere Welt. "Die Abende waren damals in 'Runden' aufgeteilt", erinnert sich Michael Richter. Es gab etwa Rock-, Blues- und Disco-Runden.
Am wichtigsten aber waren die "langsamen Runden": Zu romantischer Musik kamen sich die jungen Männer und Frauen auf der Tanzfläche nahe. "Langsame Runden waren die Möglichkeit, jemanden zum Tanzen aufzufordern. Das war ein soziales Element, das heute völlig fremd ist."
Mit dem Beginn der 80er-Jahre wehte ein frischer Wind durchs "Waschhaus". Michael Richter brachte mit seinem DJ-Team "Flower Disco" neue Melodien nach Ebersdorf: Statt Rock, Blues und Disco gab es jetzt Soul, Funk und die Neue Deutsche Welle, "langsame Runden" und leise Musik waren verpönt.
Die Mädchen tauschten ihre Kleider gegen Jeans und Blusen mit Puffärmeln, die Jungs kauften sich neonfarbene T-Shirts in Polen oder Ungarn, frisierten das Haar zur "Popper-Tolle": "Die eine Hälfte des Scheitels musste übers Gesicht fallen, man hatte nur noch ein Auge", lächelt Michael Richter.
1990 war es vorbei mit dem "Waschhaus": Anwohner waren erleichtert
Zu dieser Zeit entwickelte sich das Markenzeichen des "Waschhauses": die "Banana-Shop"-Abende.
Die Jugendlichen schlürften Südsee-Cocktails zur angesagten "Black Music": James Brown, "Earth, Wind & Fire" und "Kool & The Gang" waren sehr beliebt. Die "Banana-Shop"-Abende bleiben unvergessen. "Da reden die Leute heute noch davon",strahlt "DJ MPunkt".
Doch mit der Wende kam das Ende: Vielen Anwohnern war das laute Treiben schon lange ein Dorn im Auge gewesen, lag das "Waschhaus" doch mitten im Wohngebiet.
"Aber vorher konnten sie nichts dagegen machen, weil es ein FDJ-Jugendclub war", sagt Michael Richter.
1990 war es vorbei mit dem "Waschhaus" - und in Ebersdorf kehrte wieder Ruhe ein.
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Titelfoto: Katrin Schoenfeld, Simone Wolf + Ernst Reinhard Tochtenhagen