Den bunten Hund vom Chemnitzer Sonnenberg zieht's nach Mallorca
Chemnitz - Bürgerschreck oder Vorzeigekünstler - zwischen diesen beiden Polen gibt es nichts, was Chemnitz von seinem Sohn Jean Schmiedel hält. Denn der 59-Jährige lebt so wie er malt, und malt so wie er lebt: chaotisch, düster, fragil, kreativ und grundehrlich.
Wanderer, kommst du nach Chemnitz, vergiss die City und biege ab zum Sonnenberg. Dort, in der Palmstraße suchst du ein Haus, wo die Leute reingucken. "Ich hab' das schönste Schaufenster auf dem ganzen Sonnenberg", sagt Schmiedel, und meint es nur ein bisschen ironisch. Tatsächlich eröffnen sich im Mietshaus Nummer 13 Welten.
Auf drei Etagen Bilder über Bilder, auf dem Boden und an den Wänden. Dazwischen bemalte Keramik, Plastiken, gebaute Städte aus Pappe. Dazwischen (lebende) Reptilien wie Eidechsen und Agamen.
Spätestens, seit Star-Galerist Georges Bergés 2019 bei sich in New York Schmiedel eine Ausstellung widmete, pilgern daheim auf den Sonnenberg auch Nichtchemnitzer. Die ersten Kunden vor Jahrzehnten waren Ärzte und Personal aus dem nahen Bethanien-Krankenhaus.
Zur Zeit tut Schmiedel etwas, was ihm gar nicht liegt: Er räumt. Denn sein Leben verlagert sich mehr und mehr nach Mallorca. Erstes Opfer ist eine Fabrikhalle hinter dem Chemnitzer Haus, in die er vor allem großformatige Werke nach seinem New Yorker Erfolg legte, stellte, hängte. "Die kommen mit nach Mallorca."
Dorthin flüchtet er nicht nur vor den "Schmähungen", die er in Chemnitz gegen sich ausgemacht haben will ("Ich bin denen hier zu sehr Underground"). Er flüchtet auch vor einem Streit mit seinem Vermieter. Aber das ist eine andere Geschichte.
Es gab auch graue Zeiten beim bunten Vogel
Auf der spanischen Ferieninsel hat er ein Haus angemietet, das er sich gerade ebenso farbenfroh und wild ausgestaltet wie sein sächsisches Domizil. "Das, was ich in Chemnitz pro Monat an Besuchern habe, kommt dort in fünf Minuten", sagt er stolz.
"Die Leute mögen mich. Für die bin ich ein bunter Hund." Seine Kunst sei zugegebenermaßen verrückt. Aber zumindest könne er was, zum Beispiel zeichnen. "Im Gegensatz zu den ganzen Hausfrauen auf Mallorca, die sich langweilen und irgendwann meinen, sie müssten kreativ sein."
Begonnen hatte alles mit einem Motorradunfall zu DDR-Zeiten. Der gebürtige Karl-Marx-Städter landete im Krankenhaus, mit ihm im Zimmer ein Galerist aus dem schon damals angesagten Prenzlauer Berg. Der so ermutigte Schmiedel griff zu Feder und Pinsel und konnte seine ersten Werke noch direkt im Krankenhaus loswerden.
Es folgten Jahre in der DDR-Punkszene, aber auch Phasen, in denen er nichts verkaufte. Inzwischen gibt es nicht nur in Chemnitz eine Sammlerszene, die "einen Schmiedel" daheim oder in Praxis und Büro hängen hat. Noch ist seine Kunst vergleichsweise bezahlbar. Und noch soll das Chemnitzer Haus mit all seinem Chaos im Inneren bestehen bleiben.
Museum im Schocken
Ebenfalls versteckt, aber zentral gelegen ist Chemnitz' geheimstes Museum: In den Erkern des ehemaligen Schocken-Kaufhauses befasst sich eine Ausstellung mit dem Erbauer und seinem Architekten.
Auf drei Etagen des Sächsischen Archäologie- und Landesmuseums smac erfahren Interessierte alles über Salman Schocken (1877–1959) und Erich Mendelsohn (1887–1953).
Der Weg zu den Ebenen ist im Eingangsbereich erwähnt, muss in den Etagen aber erfragt werden. Unterdessen gibt es auch neues Leben für drei andere sächsische Schocken-Häuser.
Das ehemalige Kaufhaus in Oelsnitz beherbergt jetzt Wohnungen. Das frühere Schocken in Zwickau wird bis 2025 saniert. Ebenso das in Crimmitschau.
Titelfoto: Kristin Schmidt