Kunst, Clubkino, Partys, Café - das VOXXX vereinte alle(s): Als der Kaßberg noch ein Kultur-Zentrum hatte
Chemnitz - Das "VOXXX" war Chemnitz' große Kunst-Hochburg auf dem Kaßberg. Hier wurden die neuen Freiräume nach der Wende ausgelebt. Wilde Partys, verrückte Ausstellungen, schräge Filme - hier war alles möglich. Designerin Katrin Uhlig und Künstler Steffen Volmer (66) hatten einst ihre Ateliers in dem einzigartigen Kulturzentrum.
Steffen Volmer erinnert sich noch gut, wie im Jahr 1992 alles begann. Das große Areal an der Horst-Menzel-Straße, frühere Heimat der "Altendorfer Societätsbrauerei", stand nach der Wende leer - und die Künstler zogen ein.
"Das war eine 'Instand-Besetzung'", sagt Steffen Volmer. Keiner habe zunächst gewusst, wem das Areal gehört. Ein vermeintlicher Eigentümer kam auf die Neuankömmlinge zu, verlangte Miete - später flog er als Betrüger auf. "Es war eine Goldgräber-Stimmung."
Die 90er-Jahre seien die Hochphase des "VOXXX" gewesen. Künstler bastelten in den Ateliers oder trafen sich zum Plausch im Café, in der Galerie gab es aufregende Ausstellungen, im Kino lief alternative Filmkost wie David Lynchs "Lost Highway".
Zentrum war jedoch der große Veranstaltungsraum. Hier traten Kult-Bands wie "Stereo Total" auf, es gab ausgefallene Theater-Projekte, Techno- und Tango-Abende. Auch im dreigeschossigen Keller wurden Partys gefeiert.
"Dort haben alle gequalmt wie die Irren - und es gab keine Belüftung", erinnert sich Steffen Volmer. Eine unheimlich aufregende Zeit: "Drei bis vier Stunden Schlaf waren normal. Man dachte immer, man verpasst was."
2005 musste das Kulturzentrum seine Tore schließen
Das "VOXXX" bot jungen Kreativen die Bühne, die sie brauchten. "Für viele war es ein Sprungbrett in die Welt", sagt Katrin Uhlig. Michael Thalheimer (56), heute Star-Regisseur des deutschen Theaters, und Ex-"Tatort"-Kommissar Peter Kurth (64) waren Stammgäste.
Doch die Arbeitsbedingungen für die Künstler waren trotzdem nicht gerade optimal: "Es waren riesige Räume - und alles unbeheizt", sagt Katrin Uhlig. "Eigentlich war es drinnen genauso wie draußen." Im Winter hatte sie beim Arbeiten Erfrierungen an den Händen. Das war einer der Gründe für ihren Auszug im Jahr 2003 - doch die große Zeit des "VOXXX" sei zu diesem Zeitpunkt ohnehin vorbei gewesen.
2005 musste das Kulturzentrum seine Tore schließen, weil die Immobilie versteigert worden war. Im Mai 2013 ließ ein Unwetter Teile des angrenzenden Areals einstürzen, seitdem ist dieser Bereich eine Ruine. Das baufällige Hauptgebäude der einstigen Brauerei aber wurde aufwändig saniert. Dort, wo zuvor das kulturelle Leben pulsierte, befinden sich jetzt Eigentumswohnungen.
Die verrückten Partys, die unklaren Besitzverhältnisse, die riesigen Freiräume des "VOXXX" seien heute nicht mehr denkbar.
"Bestimmte Sachen haben bestimmte Zeiten", sagt Katrin Uhlig. Sie und Steffen Volmer sind ihrer Kunst aber treu geblieben - genauso wie dem Kaßberg.
Katrin Uhlig betreibt heute das Mode-Label "Ysteer", Steffen Volmer malt und zeichnet dort in seinem Atelier.
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Titelfoto: Dirk Hanus