Irre Wende nach Macheten-Attacke: War der Überfall inszeniert?

Chemnitz - Einem polizeibekannten Neonazi sollen Mitte August in Chemnitz am helllichten Tag Finger der linken Hand mit einer Machete abgehackt worden sein. Angeblich von einer Gruppe vermummter Personen. Doch nun deuten neue Erkenntnisse auf einen ganz anderen Tathergang.

Trotz umfangreicher Suche: Die abgehackten Finger blieben spurlos verschwunden.
Trotz umfangreicher Suche: Die abgehackten Finger blieben spurlos verschwunden.  © Haertelpress

Wie das Landeskriminalamt Sachsen am Montag mitteilte, wird aktuell gegen den 28-Jährigen wegen Vortäuschen einer Straftat und gegen einen weiteren Beschuldigten wegen schwerer Körperverletzung ermittelt.

"Der zunächst wahrscheinliche Verdacht für eine politisch motivierte Straftat hat sich für die Soko LinX im Landeskriminalamt Sachsen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bestätigt", heißt es weiter.

Am 24. August durchsuchten Polizisten die Wohnungen des 28-Jährigen im Ortsteil Hilbersdorf sowie des 36-Jährigen im Raum Marienberg und sicherten dabei mehrere Beweismittel. Ob dabei auch die abgetrennten Finger gefunden wurden, ist aktuell noch nicht bekannt. Außerdem wurde unter anderem Diebesgut aus einem vorausgegangen Wohnungseinbruch gefunden, das ebenfalls beschlagnahmt wurde.

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Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Chemnitz und des Landeskriminalamtes
Sachsen dauern an. Auch die Auswertung der Beweismittel wird noch viel Zeit kosten.

Der Psychologische Berater Ullrich Döhling (72) schließt ein "Demonstrativverhalten eines vernachlässigten Jugendlichen, der auf sich aufmerksam machen will" nicht aus. Zum Abhacken der Finger: "Da stand jemand eventuell unter Alkohol, Drogen oder war sonst nicht klar." An "politischen Fanatismus" denkt Linken-Stadtrat und Rechtsanwalt Klaus Bartl (72).

Die beiden Beschuldigten schweigen bisher zu den Tatvorwürfen.

Opfer soll "Kampf der Nibelungen"-Jacke getragen haben

Am 15. August war das mutmaßliche Opfer gegen 15 Uhr im Chemnitzer Stadtpark, nahe der Helbersdorfer Straße 180 direkt an den Tennisplätzen, unterwegs, als es von mehreren vermummten Personen angegriffen worden sein soll.

Dabei hätten sie ihm mit einer Machete drei Finger der linken Hand abgehackt. So schilderte jedenfalls der 28-Jährige der Polizei den Vorfall.

Anschließend durchsuchten zahlreiche Polizisten den Stadtpark nach den Gliedmaßen - jedoch ohne Erfolg.

Die Polizei schloss nach den ersten Ermittlungen einen politischen Tatbezug nicht aus. Das vermeintliche Opfer soll während des Angriffs angeblich eine Jacke der rechten Sportmarke "Kampf der Nibelungen" getragen haben.

Originalmeldung: 28. August, 15.46 Uhr, aktualisiert: 19.22 Uhr

Eine irre, wirre Welt

Kommentar von Bernd Rippert

So schnell kann's gehen. Nach dem angeblichen Macheten-Überfall im Chemnitzer Stadtpark fiel der Verdacht zuerst auf wirre Linksradikale, die angeblich einen Neonazi furchtbar verstümmelt hätten. Viele warnten nach dem Fall vor voreiligen Schlüssen. Zu Recht, wie sich jetzt zeigt.

Nach den neuesten Ermittlungen sieht die Sache ganz anders aus. Eventuell hat ein Kumpel des Neonazis die Finger abgeschnitten, vermuten die Ermittler jetzt. Warum die beiden Männer das getan haben sollen, ist völlig unklar. Die beiden Beteiligten schweigen bislang.

Eine Attacke der Antifa gegen rechte Extremisten? Eine Selbstverstümmelung unter rechten Extremisten, um die Antifa zu beschuldigen? Es ist eine irre, wirre Welt, die sich da vor unseren Augen ausbreitet.

Aber auch nach dieser Wendung gilt: Was wissen wir? Wenig. Es gibt Ermittlungen der Polizei, es gibt Beweismittel, die in den Wohnungen gefunden wurden, es gibt einen Verdacht.

Was fehlt, sind klare Aussagen und Beweise. Vielleicht kommen die bald und klären über das mysteriöse Geschehen auf. Bis dahin gilt: keine weiteren Vorverurteilungen, Ruhe bewahren.

Titelfoto: Haertelpress

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