Vorwürfe gegen Chemnitzer Bewerbung: Welchen Einfluss hatten Berater am Kulturhauptstadt-Triumph?
Chemnitz - Der Kulturhauptstadt-Titel versetzte Chemnitz in einen Freudentaumel. Nun geraten die Umstände der Vergabe in die Kritik. Die Vorwürfe: Es hätte enge Verstrickungen zwischen den Beratern der Bewerberstädte und der EU-Jury gegeben. Auch hätten einige Berater für mehrere Bewerberstädte gleichzeitig gearbeitet.
Die Kritik zielt unter anderem auf den Niederländer Mattijs Maussen, der mit an der Chemnitzer Bewerbung arbeitete. Wie Bewerbungsleiter Ferenc Csák im März zu TAG24 sagte, hatte Maussen bereits für 15 Kulturhauptstädte als Berater gearbeitet.
Pikant: Der Niederländer ist zudem früherer Geschäftspartner von Jury-Mitglied Jiří Suchánek. Uwe Ritzer (55), Investigativ-Reporter der "Süddeutschen Zeitung" (SZ), spürte dieser Verbindung nach: "Der zur Neutralität verpflichtete Juror Suchánek mischt auch selbst bei Chemnitz mit. Die sächsische Stadt plant 2025 einen European Peace Ride, eine internationale Radtour. Einer der Partner sowie Start- oder Zielort ist: Sucháneks Pilsener 'Kreativwirtschaftszentrum' Depo 2015."
Ebenso habe ein weiteres Jury-Mitglied früher mit Maussen zusammengearbeitet: Jelle Burggraaff. Beide Juroren bestritten gegenüber der "Süddeutschen" aber jegliche Einflussnahme.
Ebenfalls in der Kritik: Ulrich Fuchs, Professor und Berater, der die früheren Gewinnerstädte Linz (2009) und Marseille (2013) mit zum Sieg geführt hatte. Er soll Chemnitz zum Engagement von Maussen geraten haben.
Es gibt auch Kritik an der Kritik
Gleichzeitig habe Fuchs laut SZ aber auch andere Bewerberstädte beraten. Mit Ritzers Worten: "Als würde ein Fußballtrainer mehrere Bundesligamannschaften gleichzeitig coachen."
Auch die Ehefrau von Ulrich Fuchs, Pia Leydolt-Fuchs, sei "bei der Chemnitzer Bewerbung gut im Geschäft" gewesen. Sie organisiert mit ihrer Firma einerseits Reisen in Kulturhauptstädte, andererseits biete sie den Bewerbern Unterstützung an. Während sie in Chemnitz Teil des Kernteams gewesen sei, habe sie auch für Mitbewerber Hannover und Fast-Mitbewerber Kassel gearbeitet.
"Wer für mehrere Städte arbeitet, sammelt überall wertvolles Insiderwissen über deren Pläne und Strategien", heißt es in dem Artikel. Leydolt-Fuchs weist die Vorwürfe von sich.
Uwe Ritzers Fazit: Hier war ein "eingespielter Zirkel" am Werk, für den Chemnitz' Sieg "ein erneuter Triumph" sei. Der Vollständigkeit halber: SZ-Autor Ritzer lebt und arbeitet in Nürnberg - dem unterlegenen Mitfavoriten auf den Kulturhauptstadt-Titel.
Es gibt bereits Kritik an der Kritik. BR-Autor Peter Jungblut (59) schreibt: "Tatsächlich erscheinen die Vorwürfe der 'Süddeutschen' nicht in in jeder Hinsicht plausibel und nachvollziehbar, weil Chemnitz unter Beobachtern seit Jahren als Favorit galt und irgendwelche Mauscheleien demnach gar nicht nötig waren."
Stadtsprecher Matthias Nowak (51) erklärte: "Die Stadt Chemnitz wird sich zu dem Artikel nicht äußern."
Titelfoto: Kristin Schmidt