Vorbild Kulturhauptstadt: Das kann Chemnitz von Breslau lernen
Chemnitz - Chemnitz wird 2025 Europäische Kulturhauptstadt. Doch was ist das überhaupt? Und was kommt danach?
Eine Chemnitzer Delegation mit dem Kulturhauptstadtbeauftragten der Landesregierung, Thomas Popp (61), und Oberbürgermeister Sven Schulze (51, SPD) an der Spitze besuchte Breslau (Wrocław) in Polen.
Spurensuche in einer Stadt, die 2016 Kulturhauptstadt war - und gefühlt noch bis heute ist. Eine Stadt, in der es viel zu sehen gibt: eine neue Konzerthalle für 110 Millionen Euro, die sanierte Jahrhunderthalle, neue Museen, sanierte Stadtviertel, ein schickes Oder-Ufer, aufgemotzte Hinterhöfe.
Was Chemnitz von Breslau für 2025 lernen kann und was nicht, lest Ihr jetzt.
Der Chemnitzer Oberbürgermeister gab 340 Kilometer östlich von Chemnitz die Richtung vor: "Wir sind bei Freunden, um zu lernen."
An dem Arbeitsbesuch nahmen auch Kulturbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky (64, parteilos) und der Geschäftsführer der Kulturhauptstadt GmbH, Stefan Schmidtke (55), teil.
Breslaus Vizebürgermeister Jakub Mazur (46) teilte seine Erfahrungen aus dem Kulturhauptjahr und dem Weg dorthin: "Wir wissen, was Chemnitz bis 2025 bevorsteht. Aber dieses Riesen-Abenteuer bleibt für immer in Erinnerung."
Breslau profitiert noch immer von der Kulturhauptstadt 2016, auch Chemnitz hofft auf Langzeitwirkung
Mazur kam 2015 als Marketing-Fachmann zurück in seine Heimatstadt. Oder wie er Wrocław nennt: "Stadt meines Herzens." Mazur trug dazu bei, dass seine Stadt ein unverwechselbares Programm erstellte. 4000 Events im Jahr 2016, sechs Millionen Besucher.
"Wir hatten gar keine Zeit, alles zu genießen. Die Nachnutzung der Kulturhauptstadt ist wie ein rollender Schneeball - er wird größer und größer", sagt Mazur.
"Früher ärgerten sich die Breslauer über die schmuddeligen Hinterhöfe. Heute lieben sie die Kultur darin. Der Titel beförderte Breslau in die erste Liga. Und da spielen wir sieben Jahre später immer noch."
Eine ähnliche Langzeitwirkung erhoffen sich auch die Chemnitzer. Details zum Programm 2025 wurden beim Besuch in Polen nicht verraten. Geschäftsführer Schmidtke rettete sich in Philosophie: "Aus guter Planung wird gute Laune."
Chemnitzer Kulturbürgermeisterin: "Kulturhauptstadt ist ein Entwicklungsmotor"
Die Direktorin des Kulturinstituts Wrocław, Dominika Kawalerowicz (37) mahnte auf TAG24-Nachfrage zur Geduld: "Jeder hat seine eigenen Erwartungen, seine eigenen Themen."
Kulturbürgermeisterin Ruscheinsky schwärmt vom Spirit Wrocławs: "Die Menschen haben verstanden, dass sich Kulturhauptstadt rentiert. Sie ist ein Entwicklungsmotor. Auch wir Chemnitzer brauchen mehr Begegnung mit Menschen von außen. Es wird uns stärken."
Nicht nur die Stadt, ahnt Prof. Thomas Popp: "Die Kulturhauptstadt in Chemnitz hat Bedeutung für ganz Deutschland." Er bedankte sich bei den polnischen Gastgebern für die tiefen Einblicke.
"Jetzt ist in Chemnitz Geduld gefragt. Die Projekte Purple Path und Öffnung des Pleißenbachs werden der Region dauerhaft erhalten bleiben. Es wird ein erfolgreiches Jahr."
Für den Kulturhauptstadt-Titel wurde in Breslau viel gebaut
Wer in Breslau nach Spuren der Kulturhauptstadt sucht, kommt an drei Bauwerken nicht vorbei: Für 110 Millionen entstand das Nationale Musikforum - Polens größtes Konzerthaus mit 1800 Plätzen, in dem jährlich 2000 Veranstaltungen stattfinden.
Zum Kulturhauptstadtjahr wurde auch die bis dahin sanierte Jahrhunderthalle übergeben. Der 1913 erbaute und 2006 zum Weltkulturerbe erhobene Monumentalbau mit 65 Metern Kuppeldurchmesser ist heute wieder ein Anziehungspunkt für halb Polen. Darin: Sport, Kultur - "sogar Heino sang hier für seine deutschen Fans", schwärmt Renata Bardzik-Mitosz (53) bei einer Führung.
Ins Staunen kommen Betrachter auch angesichts des Vier-Kuppel-Pavillons nebenan. Das für die Jahrhundertausstellung 1913 entworfene Ausstellungsgebäude, stammt von Stararchitekt Hans Poelzig, der auch in Chemnitz tätig war.
2016 eröffnete hier ein Museum für zeitgenössische Kunst. Die aktuelle Ausstellung "Rokoko Madness" (bis Anfang 2024) hat eine deutsche Kunsthistorikerin aufgebaut.
Nicole Ullrich (47): "Hier laufen großartige Ausstellungen. Ich liebe den Pavillon, den es ohne die Kulturhauptstadt so nicht geben würde."
Impuls für Initiativen
Es gibt Kulturinitiativen in Breslau, die ohne Kulturhauptstadt nicht möglich gewesen wären und die es bis heute gibt. Paradebeispiel ist die private Stiftung "OP ENHEIM".
In einem Barockbau am Salzmarkt entstand ein Zentrum für kulturelle Begegnungen auf unterschiedlichsten Gebieten: mit Kunstgalerie, Räumen für internationale Konferenzen, Residenz-Wohnungen für Künstler, Gastronomie.
Besonderes Augenmerk gilt dem polnisch-deutschen Dialog. Gründerin Viola Wojnowski (56) freut sich über die Chance: "Die Kulturhauptstadt war der große Impuls. Deshalb kam ich nach Breslau, investierte in Breslau und blieb in Breslau."
Titelfoto: Stadt Chemnitz/Maciej Kulczyński, Bernd Rippert