Kaum Kurzarbeit trotz Krise: Was das für Chemnitz' Industrie bedeutet
Chemnitz - In Chemnitzer Industriebetrieben herrscht schlechte Stimmung. Für das kommende Jahr kündigt sich ein tiefgreifender Strukturwandel an, bei dem Arbeitsplätze in Größenordnungen wegzufallen drohen. Ein Warnzeichen ist paradoxerweise die relativ geringe Kurzarbeiterquote in der Stadt.
Im Herbst lag die Kurzarbeit in Chemnitz auf Vorjahresniveau: "Im Oktober haben 22 Betriebe im Agenturbezirk Kurzarbeit angezeigt mit 141 betroffenen Personen", teilt die Arbeitsagentur mit.
Wie es ab Januar weitergeht, dazu sei keine Einschätzung möglich. "Dass die Kurzarbeit aktuell nicht die Rolle spielt, ist ein Zeichen dafür, dass in den Firmen der Rotstift angesetzt wird", mutmaßt Martin Witschaß (39), Geschäftsführer für Standortpolitik bei der IHK Chemnitz.
"Es geht nicht nur um temporäre, sondern um strukturelle Probleme. Das führt dazu, dass sich Firmen von Geschäftsbereichen, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, verabschieden werden."
Auch bei der Agentur für Arbeit schlägt aktuell ein Seismograf aus, der nichts Gutes verheißt: "Derzeit ist ein gestiegener Beratungsbedarf auch zu den Leistungen zum Transfer-Kurzarbeitergeld festzustellen", heißt es auf TAG24-Anfrage von der Behörde.
Die IHK hatte bereits gewarnt
Dieses Geld wird gezahlt, wenn Firmen Insolvenz anmelden oder Massenentlassungen anstehen und Mitarbeiter in einer Transfergesellschaft für maximal ein Jahr beschäftigt werden.
"Im Vorfeld der Überlegungen zu einer einzurichtenden Transfergesellschaft ist ein Beratungsgespräch mit der Agentur für Arbeit zwingend erforderlich", so die Arbeitsagentur.
Die IHK Chemnitz hatte bereits bei der Veröffentlichung der jüngsten Konjunkturumfrage Alarm geschlagen: Im Industriesektor sackte die Lageeinschätzung der Unternehmen innerhalb eines Jahres so stark ab wie in keiner anderen Branche - von minus drei auf minus 17 Bewertungspunkte.
Mehr als ein Drittel der Firmen plant Personalabbau. Das sind mehr als beim bisherigen Negativrekord aus dem Corona-Frühjahr 2020.
Harte Zeiten
Von Mandy Schneider
VW, Bosch, Ford, Thyssenkrupp - noch ist der angekündigte massive Stellenabbau dieser Riesen für viele ein fernes Dröhnen aus der Tagesschau. Doch spätestens der Jahreswechsel könnte für zahlreiche Chemnitzer eine Zäsur werden. Und dabei werden weitaus mehr Jobs auf dem Spiel stehen, als die der VW-Motorenwerker.
Erstmals seit vielen Jahren droht auch in unserer Stadt ein Abbau von Wertschöpfung in Größenordnungen. Die Chef-Etagen bereiten sich vor. Im günstigeren Fall, indem sie Kurzarbeit anzeigen, im schlimmsten Fall mit Entlassungen oder gar einem Insolvenzantrag für ganze Unternehmen.
Wenn Arbeitsplätze in der Industrie wegfallen, ist das eine Entwicklung, die Chemnitz ins Herz trifft. Wir sind eine Industriestadt. Es wird Auswirkungen haben auf die Steuereinnahmen der Stadt, die schon jetzt um einen Haushalt ringen muss, weil explodierende Kosten immer weniger Spielraum für Wünschenswertes lässt.
Und es wird zweifellos Auswirkungen haben auf die anstehende Bundestagswahl, bei der sich auch jeder Chemnitzer sorgfältig überlegen sollte, wem er zutraut, die Karre aus dem Dreck zu ziehen.
Titelfoto: Bildmontage: Kristin Schmidt, Peter Zschage