Polizeigewalt gegen Fotograf: Video deckt Vertuschungsversuch auf
Potsdam - Der freie Fotograf Julian Stähle (26), der auch regelmäßig TAG24 mit Fotos beliefert, wurde während eines SEK-Einsatzes von einem Polizisten angegriffen. Vor Gericht versuchte ein Kollege, den Beamten zu decken. Was die beiden nicht wussten: Seine Kamera filmte den ganzen Vorfall und entlarvte einen Vertuschungsversuch.
Der eigentliche Vorfall ereignete sich am 10. September 2019 am Rande eines SEK-Einsatzes. Die Polizei stellte einen mutmaßlichen Sexualstraftäter in einem leerstehenden Gebäude in Treuenbrietzen (Potsdam-Mittelmark).
Zu diesem Zeitpunkt befand sich Stähle hinter der Polizeiabsperrung auf dem ihm zugewiesenen Platz und richtete seine Videokamera auf den Schauplatz des Geschehens. Während er seiner Arbeit nachging, geriet er mit dem Polizeibeamten, der die Absperrung bewachte, in einen Streit. Dieser ließ ihn, laut Aussage Stähles, die ganze Zeit über spüren, dort unerwünscht zu sein und baute sich auch mehrfach direkt vor seiner Kamera auf.
In dem Video, das TAG24 zur Ansicht vorlag, ist zu hören, dass Stähle den Polizisten nach Namen und Dienstnummer fragt, um eine Beschwerde gegen ihn einzureichen. Auf die erste Anfrage erwidert der Polizist, dass ihn das nichts angehe. Was auf eine weitere Nachfrage folgt, ist unfassbar.
Das Videobild beginnt plötzlich zu wackeln und man hört den Polizisten schreien: "Sag mal rede ich kein Deutsch oder was. Ich lasse mich hier nicht beleidigen." Von einer Beleidigung ist jedoch zuvor nichts zu hören gewesen.
Als das Bild wieder aufzieht, sieht man den Polizisten bedrohlich über den am Boden liegenden Fotografen stehen. Das wahrnehmbare Röcheln von Stähle lässt vermuten, dass er von dem Beamten gewürgt wird.
Julian Stähle erhält eine Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Körperverletzung
Stähle informierte direkt vor Ort den Dienstgruppenleiter und erstattete Anzeige. Kurze Zeit später flatterte ihm dann tatsächlich ein Brief von der Staatsanwaltschaft Potsdam ins Haus. Allerdings war plötzlich er selbst der Angeklagte. Er sollte sich vor Gericht wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter Körperverletzung verantworten.
Das Perfide an der ganzen Sache: Das Ermittlungsverfahren gegen den übergriffigen Polizisten wurde mit der Begründung, dass kein strafbares Verhalten zu ermitteln sei, schon nach wenigen Wochen eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Staatsanwaltschaft jedoch keinen Zugriff auf das Video, das Stähle und sein Anwalt Sebastian Wendt noch zurückhielten.
Laut Aussage Stähles lag das Material der Staatsanwaltschaft zunächst nicht vor, um eine polizeiinterne Absprache zu verhindern und eine objektive Ermittlung zu ermöglichen.
Stähle musste sich am 14. August 2020 vor dem Amtsgericht Brandenburg/Havel verantworten
Am 14. August 2020 fand schließlich der Prozess vor dem Amtsgericht Brandenburg/Havel statt, bei dem sich Stähle gegen die Anschuldigungen der Polizisten zur Wehr setzen musste.
Dabei sagte der Polizist, der seinerseits Anzeige gegen den Fotografen erstattet hatte, im Zeugenstand aus, dass Stähle ihn mit seinem Kameraobjektiv an der Schulter angestoßen hätte und zu Boden gestürzt sei, nachdem der Beamte sich reflexartig umgedreht habe. Ein zweiter Polizist stützte die Aussage seines Kollegen. Eine glatte Lüge, wie sich später herausstellen sollte.
Nach dieser Falschaussage teilte Stähles Anwalt dem Gericht und der Staatsanwaltschaft mit, dass ein Video von der Tat vorliegt.
Nach der Sichtung des Videos rief das Gericht den Polizisten erneut als Zeugen auf. Dieser blieb jedoch auch nach der Konfrontation mit dem neuen Beweismaterial bei seiner Aussage und bestritt, die im Hintergrund zu hörende Stimme zu sein.
Falscher Zeuge bricht vor Gericht mit Kreislaufschwäche zusammen
Auch der zweite Polizist, der seinem Kollegen ein Alibi verschaffen wollte, blieb zunächst bei seiner Aussage, auch nachdem durch das Video eindeutig sichtbar gewesen ist, dass er eine Falschaussage tätigt.
Als Anwalt Wendt seine Zeugenbefragung intensivierte, brach der Beamte im Zeugenstand plötzlich ohnmächtig zusammen und musste schließlich von einem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht werden.
Zuvor leistete Stähles Anwalt dem Zeugen sogar erste Hilfe. Seine Falschaussage nahm er zwar nicht zurück, jedoch ist der junge Polizist unter der vorliegenden Beweislast im wahrsten Sinne des Wortes zusammengebrochen.
Julian Stähle wurde schließlich von der Anklage freigesprochen, was laut Wendt wohl letztlich nur der Videoaufzeichnung zu verdanken ist. Ohne dieses Video wäre der Fotograf wohl zu Unrecht verurteilt worden.
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft das Video angefordert, um es genau auszuwerten und auch das Polizeipräsidium in Potsdam wartet auf die Einsicht in das Videomaterial, um disziplinarrechtliche Konsequenzen einzuleiten, sofern sich die Vorwürfe gegen die Beamten bestätigen.
Anwalt Sebastian Wendt wird am Montag Verbindung zur Staatsanwaltschaft Potsdam aufnehmen, um sich für die aktive Strafverfolgung aller Beamten einzusetzen, die direkt und indirekt an dem Vorfall und dem Vertuschungsversuch beteiligt waren. In seinem Plädoyer hat er auf den massiven Vertrauensverlust in die Polizei vor Ort hingewiesen.
Julian Stähle betonte gegenüber TAG24 nachdrücklich, dass es sich hierbei um einen bedauerlichen Einzelfall gehandelt habe. Er schätze die Polizei sehr und habe bisher stets sehr gut mit ihr zusammengearbeitet und er hofft, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird.
Titelfoto: Julian Stähle