Correctiv im Berliner Ensemble: Neue Enthüllungen zu rechtem Geheimtreffen
Berlin - Die investigative Recherche von Correctiv über ein rechtes Geheimtreffen in Potsdam sorgte zuletzt bundesweit für Aufsehen. Im Berliner Ensemble wurden die Ergebnisse nun als szenische Lesung präsentiert - und weitere Details enthüllt. TAG24 war dabei.
Bis auf den letzten Platz war das Berliner Traditionshaus am gestrigen Mittwoch gefüllt.
Es ging um Schwerwiegendes: Unter dem verharmlosenden Begriff der "Remigration" berieten AfD-Chargen, Neonazi-Schläger, rechte Influencer und schwerreiche Unternehmer am 25. November in einem Landhotel nahe Potsdam über einen "Masterplan" zur massenhaften Deportation von Menschen mit Migrationsgeschichte.
Zudem soll es auf dem Treffen um die Generierung von Spenden für rechte Kreise und einen nationalen Propagandaplan gegangen sein.
"Was wir Ihnen heute erzählen, ist wahr", erklärten die Schauspieler zu Beginn. Manches sei jedoch insofern "fiktionalisiert", als dass nicht der exakte Wortlaut wiedergegeben werde, sondern nur der Sinn des Gesagten.
Auf der Bühne des Berliner Ensembles war eine weiß-gedeckte Tafel zu sehen, in verteilten Rollen lasen die Schauspieler Andreas Beck, Constanze Becker, Max Gindorff, Oliver Kraushaar, Veit Schubert und Laura Talenti formell gekleidet aus den Ergebnissen der Correctiv-Recherche.
Dazu wurden mit versteckter Kamera gedrehte Fotos und Videoschnipsel gezeigt. Neben den bereits in der vergangenen Woche publik gemachten Informationen wurden auf der Bühne auch neue Details enthüllt.
Mitglied der Identitäten will Gewaltenteilung aufheben und Jagd auf Linke machen
So soll Mario Müller (35) - mehrfach vorbestrafter Neonazi und Mitarbeiter beim AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt (32) - in seinem Potsdamer Vortrag über eine Aufhebung der Trennung von Exekutive und Judikative fantasiert haben.
Das Ziel: die Bekämpfung von Linken im Allgemeinen und der Antifa im Besonderen.
Als Bundestagsabgeordneter habe er Zugang zu besonderen Informationen, so Müller laut Recherche. Das Mitglied der identitären Bewegung soll auch ein Beispiel genannt haben: So habe er einen ehemaligen Berliner Autonomen ausfindig machen können, der inzwischen in einem polnischen Kindergarten arbeite.
Nach einem Besuch von "erlebnisorientierten Fußball-Kreisen" habe der Mann einen Nervenzusammenbruch erlitten - und schließlich als Kronzeuge im Prozess gegen Lina E. ausgesagt.
Konzipiert als Lehrstück im Sinne des Epischen Theaters von Berliner-Ensemble-Gründer Bertolt Brecht (1898-1956) sollte die Aufführung Gesagtes nicht einfach wiederholen, sondern zugleich kritisch einordnen und hinterfragen. So wurden die Schauspieler in der szenischen Lesung stets als Bühnenfigur gekennzeichnet - das schaffte Distanz und eröffnete einen Raum zu Nach- und Weiterdenken.
Auch den einen oder anderen Seitenhieb gegen die rechten Protagonisten gab es: Die Teilnehmer des sogenannten "Düsseldorfer Forums" wurden als Running Gag immer wieder als "Faschos" bezeichnet - nur um die Beleidigung im gleichen Atemzug wieder zu kassieren und in "Patrioten" umzuwandeln.
Die Aufführung bewegte sich deshalb permanent auf dem Spannungsfeld zwischen journalistischer Sorgfaltspflicht und Kunstfreiheit.
Publikum im Berliner Ensemble skandiert: "Alle zusammen gegen den Faschismus"
So schockierend die auf der Bühne präsentierten Recherche-Ergebnisse auch sind, so nüchtern lässt sich als Ergebnis feststellen: Der Rechtsruck in Deutschland 2024 bedeutet weit mehr als die Stammtisch-trüben Gillamoos-Plattitüden eines Friedrich Merz (68, CDU), mehr auch als Markus Söders (57, CSU) Gender-Verbots-Populismus.
Rechtsruck bedeutet, dass Rechtspopulisten, Neonazis und völkische Unternehmer weitgehend unbehelligt die Deportation und Vertreibung von Millionen von Menschen planen können, die nicht in ihr Herrenmenschen-Weltbild passen - und sich dabei angesichts starker Umfrage-Ergebnisse für die AfD auch der Zustimmung großer Teile der Bevölkerung sicher sein können.
Am Ende der Aufführung zeigte sich das Publikum begeistert und skandierte minutenlang "Alle zusammen gegen den Faschismus!". Ein Feel-good-Moment an diesem Abend der Abscheulichkeiten.
Beim Gefühl, zusammen auf der 'richtigen' Seite zustehen, darf es aber nicht bleiben. Nun müssen Taten folgen.
Titelfoto: Carsten Koall/dpa