Romantik und Rock 'n' Roll: So war es bei Element of Crime in Berlin
Berlin - Zwanzig Auftritte in 17 Städten: Es ist der letzte von drei Abenden im Berliner Tempodrom. Element of Crime spielen vor ausverkauftem Haus und Sven Regener wartet mit seiner Kernkompetenz auf: Melancholie.
Es hätte für das Ende der diesjährigen Tournee vermutlich keine bessere Vorgruppe als Isolation Berlin geben können. Sven Regener, glühender Fan ihres zweiten Albums "Vergifte dich", lobte die jungen Kollegen über den grünen Klee. Wenig verwunderlich, heimste die Scheibe der Berliner Band um Sänger Tobias Bamborschk doch vielerorts den Titel "Album des Jahres" ein.
Eine halbe Stunde lang bringt das Quartett das Publikum in der ausverkauften und rappelvollen Halle auf Betriebstemperatur. "Ich bin ein Produkt, ich will, dass man mich schluckt", knörzt der Hoffnungsträger des deutschen Pop in das Mikro – und es wurde geschluckt. Nicht nur Bier aus dem Plastikbecher zu fünf Euro, sondern Zeilen wie "Wenn du mich suchst, du findest mich am Pfandflaschenautomat".
Suchen muss man die EoC-Fans nicht. Die älteren Semester stehen meist hinten, wo es Getränke, Toiletten und den Notausgang gibt, witzelte Regener mal vor Jahren bei einem Konzert in Bochum. Doch an diesem Abend ist das Publikum gut durchmischt. Ob es auch an Isolation Berlin gelegen hat? Wer weiß.
Als Element of Crime um 20.45 Uhr die Bühne betreten – Regener im schwarzen Zwirn mit lilafarbenem Hemd –, wird schon beim Opener "Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang" klar: Die Stimme des 58-Jährigen hat ordentlich Druck auf der Lunge, wirkt deutlich aggressiver, intensiver und energiegeladener – von Müdigkeit nach 34 Jahren Bandgeschichte und 14 Alben auf dem Buckel keine Spur.
Da ist er noch immer: Der knarzige Charme des Jungen aus der Neuen Vahr mit seiner verspulten Melancholie. Zwei Stunden führt der Conférencier der Schwermütigkeit durch den Abend. Hanseatisch-wortkarg präsentiert der gebürtige Bremer eine Werkschau, in dessen Fokus die Songs des aktuellen Albums "Schafe, Monster und Mäuse" stehen. An Board auch das Duett "Karin, Karin" mit seiner Tochter Alexandra – ein Kontrapunkt zur rau-rotzigen Rock-Nummer "Ein Brot und eine Tüte", in dem Regener so schön wettert: "Sauerkraut im Sonderangebot, sowas fress' ich nicht mal tot."
"Manchmal ist es doch schön, ein bisschen asozial zu sein", kündigt der herrlich verschrobene Regener in seiner wunderprächtigen Schnodderweise den Song an.
Von Mäusen und Melancholie, von Schafen und Schunkeln, von Romantik und Rock'n'Roll
Musikalische Unterstützung erfährt die Band live mit den befreundeten Kollegen Rainer Theobald an Saxofon und Klarinette und Ekki Busch am Akkordeon, die dem Klangteppich eine verfeinerte Breite verleihen. "Einige mögen sagen Easy Listening, Chanson, aber wo ist die Rockmusik?", stellt der ausgewiesene Melancholie-Experte dem rund zehn Jahre altem Song "Immer da wo du bist bin ich nie" voran, der durch den Saal rumpelt wie ein D-Zug auf Schotter.
Stößt Regener in die Trompete, kommt unweigerlich der Gedanke an Mariachi-Bands auf. Absicht? Unklar. Macht es Spaß? Ja. Manche Zuschauer wiegen sich in den Armen, versuchen zu schunkeln, wenn auch eher zaghaft, so auch zu der besoffenen Schnulze "Immer noch Liebe in mir".
Warum auch nicht. Schwoofen ist auch schöner als das Konzert über das Handydisplay zu verfolgen. Die Smartphones bleiben an diesem Abend angenehm in der Tasche. So geht Entschleunigung in Reinkultur.
Was fehlt: Material aus der Anfangszeit, als die Band noch auf Englisch sang und in einem Proberaum im Görlitzer Park ihren Einzug in das Rock-'n'-Roll-Universum plante. Stattdessen: "Liebe ist kälter als der Tod", "Weißes Papier", "Deborah Müller", die Auftragsarbeit "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe" und "Warte auf mich", um nur einige zu nennen.
Wer die Band auf dieser Tournee zuvor noch nicht sah, wird voller Freude gewesen sein. "Wer ich wirklich bin" wird zum ersten Mal seit 1997 live zu Gehör gebracht. Anlass war ein Cover von Gisbert zu Knyphausen. "Wie peinlich ist das denn, dass der das kann und wir nicht?", stellt Regener die Frage in den Raum – und covert zurück, wie er sagt.
Während des Konzerts wirft der Botschafter der Eigenbrödler, Idioten und Verlierer immer wieder die Arme in die Luft, reißt die Trompete überschwänglich in die Höhe, schaukelt und stampft im Groove über die Bühne wie ein Matrose bei schwerem Seegang, skandiert seinen berühmten Schlachtruf "Romantik" mit Betonung auf der letzten Silbe ("Delmenhorst" lässt grüßen), als wolle er sagen: Alles nicht so schlimm. Dabei ist dem Grand Seigneur der Lakonie bewusst, wie die Welt von Element of Crime auf die Zuschauer wirkt. Davon zeugen Zeilen wie "Erst wenn alles scheißegal ist, macht das Leben wieder Spaß." Selten war Scheitern schöner, die Melancholie rosaner, die Schwermut leichter.
Regener sagte einmal, niemand ist gerne traurig, aber in der Kunst ist Traurigkeit eine schöne Sache – und schöner war selten ein Abend wie dieser an einem Samstag im Mai. "Kommt gut nach Hause, keinen Scheiß machen, Servus, Tschüss", entlässt er die Zuschauer nach drei Zugabeblöcken in die laue Frühlingsnacht.
Titelfoto: DPA