Natürlicher Tod oder Mord? Hohe Dunkelziffer an ungeklärten Sterbefällen in Sachsen
Leipzig/Görlitz - In ganz Deutschland werden zu wenige Obduktionen durchgeführt - diese könnten im Zweifelsfall eine nicht unerhebliche Anzahl an Straftaten aufklären. "MDR exactly" beschäftigte sich jüngst mit dem Problem ungenauer Leichenschauen in Sachsen.
Ein besonderer Fall aus dem Jahr 2018 zeigte auf, warum ein genauer Blick der Rechtsmediziner wichtig ist: Im August des Jahres wurde Yvonne H. aus Görlitz alarmiert, weil eine Nachbarin deren Großmutter vermisste und sie seit Tagen nicht mehr erreichen konnte.
Beim Öffnen der Wohnung entdeckte die Enkelin ihre tote Oma im Bett. "Als ich sie gesehen habe, hab ich gewusst, dass was nicht stimmt. In ihrem Gesicht sah ich kleine Verletzungen, ihre Schuhe lagen komisch im Flur, das waren einfach so Kleinigkeiten, wo ich gedacht habe, das passt nicht", erinnerte sich Yvonne H. im Gespräch mit dem MDR-Team.
Eine eingesetzte Ärztin attestierte der Rentnerin eine natürliche Todesursache - Ingeburg H. sei friedlich eingeschlafen. Als ihre Enkelin aber wenig später bei der Bank ihrer Oma erfuhr, dass deren EC-Karte noch nach ihrem Tod benutzt wurde, alarmierte sie die Polizei und die Ermittlungen kamen ins Rollen.
"Den Obduktionsergebnissen nach wurde die Frau eindeutig ermordet. Sie starb an einer Lungenfettembolie, nachdem ihr der Täter mutmaßlich auf der Brust gekniet war und ihr den Atem abgedrückt hatte", erinnerte sich Professor Steffen Heide von der TU Dresden an den Fall.
Obduktionsrate in Deutschland sehr gering
Anhand der Überwachungskamera an der Bankfiliale, von der aus von Ingeburg H.s EC-Karte Geld abgehoben worden war, konnte die Polizei schließlich einen Täter identifizieren. Marek S. wurde 2019 vom Landgericht Görlitz auch wegen weiterer Vergehen zu einer lebenslangen Haft verurteilt.
Ohne das Nachforschen der Enkelin wäre dieser Mord jedoch nicht aufgedeckt worden. Die Dunkelziffer solcher Straftaten ist hoch - der Grund sind zu wenige Obduktionen.
"In Sachsen und ganz Deutschland ist die Rate der nicht natürlichen Todesfälle bei 4 bis 6,5 Prozent. In Skandinavien oder Großbritannien etwa wird viel mehr obduziert - dort liegt die Rate bei knapp 30 Prozent", weiß Professor Steffen Heide.
Würden also mehr Leichen in Deutschland einer Obduktion zugeführt werden, würden auch mehr Straftaten aufgedeckt werden.
"In Deutschland können auch Privatpersonen Obduktionen veranlassen. Das kostet allerdings Geld - es kann aber nicht sein, das ärztliche oder polizeiliche Fehler dadurch ausgeglichen werden, dass Angehörige für solche Untersuchungen zahlen", kritisierte Dirk Peglow vom Bund deutscher Kriminalbeamter.
Wie eine Leichenschau genau abläuft und welche Hinweise auf einen unnatürlichen Todesfall hindeuten, erfahrt Ihr in der ganzen Doku von "MDR exactly".
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