Sachsens Seelen sind so krank wie noch nie
Dresden - Depressionen, chronische Erschöpfung oder Ängste: Wegen psychischer Erkrankungen meldeten sich im vergangenen Jahr so viele Sachsen krank wie nie zuvor!
Den Rekord-Höchststand an Fehltagen deckt jetzt der neue "Psychreport" der Krankenkasse DAK auf.
Besonders hoch ist dabei der Anstieg psychischer Erkrankungen bei den unter 30-Jährigen - die genauen Zahlen, die Ursachen, Therapieansätze und Präventionsmaßnahmen.
Die psychisch bedingten Fehltage im Job haben bei Sachsens Beschäftigten im vergangenen Jahr einen neuen Höchstwert erreicht. Mit 292 Fehltagen je 100 Versicherte gab es 2022 wegen Seelenleiden so viel Arbeitsausfall im Freistaat wie noch nie seit Erhebung der Zahlen vor 25 Jahren.
Allein im Zehn-Jahres-Vergleich sind Krankschreibungen wegen Depressionen und Ängsten in Sachsen um 40 Prozent angestiegen, im Bundesschnitt sogar um 48 Prozent!
Die Zahlen werden jedes Jahr für den "Psychreport" ermittelt, diesmal auf Basis der Krankschreibungen von 2,4 Millionen DAK-versicherten Beschäftigten. Dabei waren Depressionen der häufigste Krankschreibungsgrund.
Auf Platz zwei folgten Belastungs- und Anpassungsstörungen (zum Beispiel bei einem Trauerfall). Andere neurotische Störungen - wie zum Beispiel chronische Erschöpfung - waren mit 34 Fehltagen dritthäufigste Ausfallursache. Auf Angststörungen entfielen 23 Krank-Tage.
Alarmierende Zahlen im Gesundheitswesen
Die meisten Ausfälle wegen psychischer Probleme wurden ausgerechnet bei Berufsgruppen entdeckt, die sich um das Wohlbefinden anderer Menschen kümmern.
So haben deutschlandweit Erzieher, Sozialpädagogen und Theologinnen zwei Drittel mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen als andere: 2022 bezogen auf 100 Versicherte waren es 494 Tage, bei Altenpflegekräfte 480 Fehltage.
Im Gesundheitswesen liegen die Zahlen mit 44 Prozent, in den öffentlichen Verwaltungen mit 20 Prozent sehr deutlich über dem Durchschnitt.
"Viele Menschen mit psychischen Erkrankungen leiden besonders unter den anhaltenden Belastungen von Corona, Krieg und Krisen", bewertet die Leiterin der sächsischen DAK-Landesvertretung Christine Enenkel (51) die spezielle Länderanalyse, die nächste Woche offiziell veröffentlicht wird.
"Betroffene finden aktuell deutlich schwerer wieder in ihren Berufsalltag zurück." Das habe auch mit Stigmatisierung zu tun. Enenkel: "Die Menschen sprechen in der Familie und der Arztpraxis mittlerweile zwar offener über Depressionen oder Ängste. Aber in der Arbeitswelt müssen wir noch mehr tun, damit psychische Probleme nicht tabuisiert werden."
Sprunghafter Anstieg vor allem bei den Jüngeren
Obwohl ältere Beschäftigte auch bei psychischen Erkrankungen mehr Fehlzeiten haben als jüngere, zeigten sich bei jungen Arbeitnehmern die deutlichsten Zuwächse: Besonders auffällig ist bei den Männern die Altersgruppe zwischen 24 und 29 Jahren mit 29 Prozent mehr Fehltagen.
Bei weiblichen Beschäftigten gab es im gleichen Alter einen Zuwachs von 24 Prozent. Auch die 20- bis 24-Jährigen hatten fast ein Viertel mehr Fehltage als gleichaltrige Frauen im Vorjahr.
"Der neue Höchststand bei den psychischen Erkrankungen ist besorgniserregend, weil zunehmend auch junge Erwachsene betroffen sind und im Job ausfallen", sagt Andreas Storm (58), Vorstands-Chef der DAK-Gesundheit.
Er fordert, der seelischen Gesundheit am Arbeitsplatz noch mehr Beachtung zu schenken. "Das gilt insbesondere, wenn es um Auszubildende und junge Beschäftigte geht." Diese seien erst am Anfang ihres Berufslebens und dürften nicht Gefahr laufen, eines Tages verfrüht ausgebrannt zu sein und aussteigen zu müssen.
Der erneute Anstieg bei den Fehltagen hänge aber zum Teil auch mit der neuen elektronischen Meldung der Krankschreibungen zusammen, die seit Anfang des Jahres von Arztpraxen direkt an die Krankenkassen geht. Dadurch tauchen nun auch Krankheitsfälle in der Statistik auf, die in der Vergangenheit nicht erfasst wurden, weil die gelben Zettel insbesondere bei sehr kurzer Krankschreibung einfach bei den Versicherten liegenblieben.
Stressphasen erhöhen das Risiko
Wir sprachen mit Dipl.-Psychologin Franziska Kath (40): Woran erkenne ich, wenn ich unter einer psychischen Störung leide?
Warnsignale und Anzeichen für eine psychische Erkrankung können sehr unterschiedlich sein. Depressionen beispielsweise gehen oft mit Traurigkeit, Schlafstörungen, innerer Unruhe, Gereiztheit, Energieverlust oder Appetitverlust einher.
Im Unterschied zu einem 'Tag mit schlechter Laune' sind Betroffene nicht einfach nur traurig, sondern über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen durchgängig tief in einem Loch. Und sie haben oft das Gefühl, aus eigener Kraft da nicht mehr herauszukommen. Eine Diagnose kann nur mittels gesicherter Diagnostik in einer Facharztpraxis gestellt werden.
Warum trifft es neuerdings ausgerechnet Berufsanfänger, also jüngere Menschen?
Junge Menschen stehen vor vielfältigen Entwicklungsaufgaben, beruflich, privat und persönlich. In ausgeprägten Stressphasen haben manche von ihnen deshalb auch ein besonderes Risiko für eine psychische Erkrankung.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Welche Therapieansätze gibt es für Betroffene?
Die Therapiemöglichkeiten sind vielfältig. Der erste Schritt kann sein, sich nahestehenden Menschen zu offenbaren und Rat zu suchen. Und dann ist die Hausarztpraxis eine wichtige Anlaufstelle, um körperlich bedingte Erkrankungen auszuschließen.
Erst wenn organisch bedingte Krankheiten ausgeschlossen werden konnten, sollte ein Besuch in einer Facharztpraxis erfolgen, um eine gesicherte Diagnose auf eine psychische Erkrankung zu erhalten.
Wie können Freunde, Arbeitskollegen und die Familie helfen, die psychische Erkrankung eines Angehörigen zu überwinden?
Für depressiv erkrankte Menschen ist es bereits eine Hilfe, sie bei Praxisterminen zu unterstützen, denn sie haben oft nicht die Kraft, sich aufzuraffen. Und was auch wichtig ist: Gerade nahe Angehörigen müssen gut auf sich selbst achten.
Denn eine länger andauernde psychische Erkrankung von Kind oder Partner kann leicht zu Überlastung und Erschöpfung führen.
Wie kann man im (Arbeits-)Alltag vorbeugen, damit es gar nicht erst zu einer psychischen Erkrankung kommt?
Menschen können ihre psychische Widerstandsfähigkeit beeinflussen und trainieren. Unser Gehirn kann lernen, mit Belastungen und kritischen Ereignissen gesund umzugehen. Hilfreich ist dabei zum Beispiel die achtsamkeitsbasierte Meditation. Viele Krankenkassen bieten Präventionsprogramme an.
Titelfoto: Katarzyna Bialasiewicz Photographee.eu